Nach einigen aufsehenerregenden Fällen denkt die österreichische Politik laut über Senkung der Strafmündigkeit nach. Expertinnen und Experten sind allerdings skeptisch. „Gefängnisse sind der denkbar schlechteste Ort für Kinder“, betont nun das Netzwerk Kriminalpolitik, ein Zusammenschluss von Organisationen aus den Bereichen Justiz, Rechtsanwaltschaft, Sozialarbeit, Opfervertretung und Wissenschaft.
In der aktuellen Debatte warnt das Netzwerk vor Schnellschüssen: In größeren Abständen komme es immer wieder zu zeitlich begrenzten Häufungen von Straftaten, die von Unmündigen begangen werden, doch „die Erfahrung zeigt, dass diese in aller Regel keine langfristigen Trends darstellen.“ Zwar seien die Zahl der Anzeigen gegen unter 14-Jährige von 6203 im Jahr 2012 auf 10.428 im Jahr 2022 geklettert, doch ob die Kinder die Straftaten tatsächlich begangen haben, werde nicht überprüft. Bei älteren, bereits strafmündigen Jugendlichen sei jedenfalls seit den 1970er-Jahren zu beobachten, dass die Zahl der Anzeigen zwar steige, die der Verurteilungen hingegen sinke. Nachweise, dass eine frühere Strafmündigkeit eine generalpräventive Wirkung habe, junge Menschen also von Straftaten abhalte, gebe es zudem nicht.
Geschlossene Wohngemeinschaften als letzter Ausweg
Ein Strafverfahren biete nicht die Möglichkeit einer „intensiven Auseinandersetzung mit den Hintergründen der Tat und der Lebenssituation von Kindern“, genau das sei aber erforderlich, schreibt das Netzwerk. In der Schweiz, wo das Strafalter anders als in den meisten europäischen Ländern bei zehn Jahren liegt, verfolge die Justiz bei besonders jungen Straftätern deshalb „keinen Strafansatz, sondern einen pädagogisch-psychologischen Ansatz“.
Auch in Österreich müsse man daher auf die Bereiche Jugendhilfe und Zivilrecht setzen, fordert das Netzwerk Kriminalpolitik, dafür brauche es auch keine Herabsetzung der Strafmündigkeit. Die Experten fordern die Bundesländer auf, einen entsprechenden bundesweit gültigen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten. Schon jetzt gebe es etwa die Möglichkeit, dass Familien Unterstützung von Sozialarbeitern bei der Erziehung ihrer Kinder erhalten, in schwereren Fällen können Kinder und Familien auch eine Art „Aufsichtsperson“ zugewiesen bekommen, „die dann das Kind, die Familie dauerhaft und intensiver begleitet“, erklärt Daniel Schmitzberger, Vorsitzender der Fachgruppe Jugendstrafrecht in der Richtervereinigung. Hier könnten mehr Ressourcen und Personal helfen, auch ein Ausbau der Sozialarbeit in Schulen oder Streetwork in Parks oder Einkaufszentren wäre sinnvoll, sagt Schmitzberger im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, können Kinder bereits jetzt in betreuten Wohneinrichtungen untergebracht werden. „Diskutieren“ könnte man in bestimmten Fällen über geschlossene Wohneinrichtungen, wie sie etwa in der Schweiz eingeführt wurden, meint der Richter. „Das ist Freiheitsentzug, der aber in einem sinnvollen Setting stattfindet und nur so lange dauert, wie es nötig ist.“