Zu Jahresbeginn hat Wien erstmals seit 1916 die Marke von zwei Millionen Einwohnern übersprungen. Zu den Wachstumsschmerzen der Stadt gehört, dass der ohnehin knappe Schulraum nicht mehr ausreicht. An einigen Standorten wurden temporäre Klassen in Containern errichtet. Von einigen betroffenen Schulen kam Kritik, Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) bezeichnete die Maßnahme aber als „alternativlos“.
Vom Himmel gefallen ist diese Entwicklung nicht. „Profil“ berichtet von Hunderten syrischen Kindern, die nun im Rahmen des Familiennachzugs kommen. Das Recht, Kinder und Ehepartner nachholen zu können, ist unter anderem durch die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie geregelt. Die Asylentwicklung der vergangenen Jahre ist bekannt. Seit Beginn der Fluchtkrise 2015 stieg die Zahl der Syrer in Österreich von 11.200 auf zuletzt 95.000 Personen.
4000 Schulplätze für ukrainische Kinder
Bevölkerungswachstum betrifft zwar fast alle Regionen Österreichs – nur 20 von 94 Bezirken sind seit 2015 geschrumpft, sechs davon in der Steiermark, vier in Kärnten – Wien verzeichnet aber das größte Wachstum. In so gut wie allen maßgeblichen Zuwanderergruppen war der Einwohnerzuwachs der vergangenen Jahre stärker als der Anteil Wiens an der Gesamtbevölkerung (zuletzt 21,9 Prozent). Bei EU-Staatsbürgern, der zahlenmäßig größten Gruppe, waren es seit 2015 fast 30 Prozent, bei Zuwanderern aus europäischen Drittstaaten sogar 40 Prozent. Wobei dafür großteils die vertriebenen Ukrainer sorgten, die sich vorwiegend in Wien ansiedelten.
Ab Februar 2022 mussten in Wien 4000 ukrainische Kinder schulisch versorgt werden. Man habe einen Puffer gehabt, so Wiederkehr, doch der sei dadurch aufgebraucht worden. Etwa zur selben Zeit hat die während der Pandemie pausierte Familienzusammenführung der Syrer wieder Fahrt aufgenommen. Das äußerte sich in einem Plus von 900 Kindern im Jahr 2022, im Vorjahr dürften es einige Tausend gewesen sein. Die genauen Zahlen liegen noch nicht vor.
Großteil der Flüchtlinge zieht nach Wien
In anderen Bundesländern zeigt sich diese Entwicklung nicht. Die Steiermark registrierte für das Jahr 2022 nur 66 syrische Schulkinder mehr als im Jahr davor, Kärnten sogar zwei weniger. Die Zahl der Staatsbürger aus Afghanistan und Syrien ist ab 2015 um insgesamt 116.000 Personen gestiegen, mehr als die Hälfte davon ist mittlerweile in Wien gemeldet. Betrachtet man nur die vergangenen fünf Jahre, ist der Anteil Wiens noch größer und liegt bei 75 Prozent.
Anders formuliert: Ein Großteil der Flüchtlinge zieht nach dem Verfahren in die Hauptstadt, deshalb betrifft der Familiennachzug fast nur Wien, das bereits mit ukrainischen Vertriebenen und Migration aus anderen EU-Staaten überproportional belastet ist. Insgesamt leben heute in Österreich um 65.000 schulpflichtige Kinder mehr als vor zehn Jahren, 29.000 davon entfallen auf Wien. 1200 Klassen im Pflichtschulbereich wurden geschaffen.
Die ÖVP sieht die Stadt selbst in der Verantwortung, weil die hohen Sozialleistungen die Geflüchteten anziehen würden. Die einstige, harmonisierte Mindestsicherung wurde 2019 von der Sozialhilfe ersetzt, die den Ländern mehr Spielraum lässt. Bei Paaren mit minderjährigen Kindern zahlt Wien (1266 Euro) zwar mehr als der Durchschnitt, aber weniger als Tirol und die Steiermark.
Als die Fluchtkrise auf ihrem Höhepunkt war, stritt die damalige große Koalition über eine Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge, damit diese nicht alle nach Wien ziehen. Die ÖVP verknüpfte dies mit einer Deckelung der Mindestsicherung, die von der SPÖ aber abgelehnt wurde. Es kam zu keiner Einigung.