Die Spionageaffäre Ott wirft ein fatales Licht auf das Land. Die Republik vermittelt der ganzen Welt den Eindruck, als hätte sie das eigene Haus, die eigene Sicherheit nicht im Griff. Die bestehende Sicherheitsstrategie aus 2013 verstärkt diesen Eindruck: Russland wird darin noch als strategischer Partner aufgelistet. Seit vergangenem Herbst verhandeln ÖVP und Grüne zwar intensiv, aber bis dato ohne Endergebnis. Es spießt sich am letzten der insgesamt acht definierten Kapitel, das sich „Energiesicherheit und Schutz der Lebensgrundlagen“ widmet.
Woran eine Einigung konkret scheitert, war bisher ein gut gehütetes Geheimnis. Das verwundert. Zwar ist die Sicherheitsstrategie ein zentrales politisches Dokument, das die Bedrohungen für Land und Menschen benennt und Leitlinien festlegt. Rechtlich verbindlich ist das Dokument jedoch nicht. Trotzdem ringen ÖVP und Grüne erbittert um konkrete Formulierungen und die daraus ableitbaren Folgen für das künftige Handeln.
Einig sind sich ÖVP und Grüne über einen neuen Zugang: Statt Ressorts oder Themen sollen die Probleme anhand von übergreifenden Handlungsfeldern wie „Diplomatie, Kooperation und Partnerschaften“, „Konfliktprävention und Krisenmanagement“ oder „Demokratisches Wertebewusstsein und Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts“ aufgerollt werden. Doch es spießt sich beim Blick auf die Vergangenheit und den Vorgaben für die Zukunft. Beim einen geht es um Schuldzuweisungen für aktuelle Probleme, beim anderen um Verpflichtung kommender Regierungen.
Rechtlich unverbindlich, aber politisch brisant
„Eine Sicherheitsstrategie taugt nicht zur Vergangenheitsbewältigung“, sagt eine mit den Verhandlungen betraute Person zur Kleinen Zeitung, „sondern sollte in die Zukunft gerichtet sein“. Es ist also der Ehrgeiz, eine strategische Umfeldanalyse zum Teil der Sicherheitsstrategie zu machen, die auch die Verantwortlichen für aktuelle Missstände benennt, der nun für festgefahrene Fronten in der Koalition sorgt.
Ein Beispiel: Wenn es etwa heißt, dass schon der russische Kaukasuskrieg von 2008 und die Unterbrechungen der russischen Gaslieferungen 2009 die neuen aggressiven Absichten Moskaus hätten erkennen lassen, und erscheint der Abschluss langfristiger Lieferverträge, wie sie 2018 mit einer Laufdauer bis 2040 unter Federführung der ÖVP in Moskau unterzeichnet wurden, als fataler Fehler und Generalabrechnung mit der jüngeren ÖVP-Regierungsbilanz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dass die SPÖ damit auch keine Freude hätte, steht auf einem anderen Blatt.
Obwohl rechtlich unverbindlich, hat die Sicherheitsstrategie doch, sofern ernst genommen, politisches Gewicht. In einem solchen, auch international beachteten Grundsatzdokument will niemand eigene Fehler offiziell festhalten. Das wäre so, als wenn man die liberale Aufnahmepolitik in der Flüchtlingskrise 2015/16 offiziell für die Integrations- und Gewaltprobleme der Gegenwart direkt verantwortlich macht. Kann man machen, wäre auch nicht ganz falsch, aber jede Partei, die sich damals für die Willkommenskultur eingesetzt hat, würde sich wohl dagegen verwehren.
Konkrete Vorgaben machen die Energiewende zum Zankapfel
Die Geister scheiden sich auch an den Zielvorgaben. Wer künftig regiert, ist völlig offen. Wenn nun – laut Entwurf der neuen Sicherheitsstrategie – der netzbezogene Einsatz von Gas so rasch wie möglich reduziert werden soll, entspricht das der Überzeugung der Grünen, aber nicht zwingend jener der nächsten Koalition. Gleiches gilt etwa für Formulierungen, die etwa der Beschleunigung der Energiewende eine zentrale sicherheitspolitische Bedeutung zumessen. Beschleunigung heißt: immer noch schneller, egal, wie schnell man schon unterwegs ist.
„Wenn es um die Zukunft geht, wird es zu detailliert, fast schon wie bei einem Gesetz, und bei der Vergangenheit wird die Verantwortung für die aktuellen Probleme zu konkret“, beschreibt einer, der mit der Materie befasst ist, recht nüchtern den Konflikt.
Demokratie und Grundwerte als Grundlage für Sicherheit
Sollte die Sicherheitsstrategie am Ringen um die Lufthoheit über Vergangenheit und Zukunft scheitern, wäre das nicht nur peinlich, sondern auch eine verpasste Chance. Denn abseits der Differenzen wollen ÖVP und Grüne Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Respekt, ein selbstbestimmtes Leben sowie die Stärkung des sozialen Zusammenhalts als Voraussetzungen wie Grundlagen für die Sicherheit und Verteidigung der Republik verankern. „Diese Grundwerte bilden die Basis für das politische Handeln und auch die Grundlage der österreichischen Sicherheitspolitik“, heißt es in einem Textauszug. Ein solcher Zugang, der wiederholt die Bedeutung von Integration und Inklusion hervorhebt und die „demokratische Wehrhaftigkeit“ der Republik zum Ziel hat, ist neu und ungewohnt in einer Sicherheitsstrategie wie auch die Betonung präventiver Maßnahmen.
Für eine neue Sicherheitsstrategie genügt, wenn sich zunächst die Regierung und dann die Regierungsfraktionen einigen. Für die politische Relevanz gilt: je größer die Mehrheit, desto größer die Akzeptanz.