Social Media stellen eine Gefahr für die Demokratie dar: Zu diesem Schluss kommt eine ausführliche Stellungnahme, die von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) für das Parlament erarbeitet und bei einem Dialogforum am Montag den Abgeordneten präsentiert wurde. Darin enthalten sind auch sechs Empfehlungen, wie ein „digitaler Ordnungsruf“ für Politikerinnen und Politiker oder auch die Einrichtung von Plattformen im öffentlichen Eigentum. Eine Klarnamenpflicht, wie zuletzt von der ÖVP wieder gefordert, fand hingegen keine Erwähnung.
Für die Studie hat ein Team um Kommunikationsforscher Matthias Karmasin und Staatsrechtlerin Magdalena Pöschl mehr als 100 internationale Studien analysiert. Die zunehmende Relevanz sozialer Plattformen ist eine Realität. So waren diese im Vorjahr für Jugendliche (bis 24 Jahre) bereits für mehr als 38 Prozent die primäre Nachrichtenquelle. Für Personen über 45 Jahren war dies in Österreich bei 12 Prozent der Fall. Die Wachstumsraten sind hoch, dabei steht ein Großteil diesen Medien eigentlich kritisch gegenüber.
Nutzer sehen Social Media selbst kritisch
Laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung, auf die verwiesen wird, waren 54 Prozent der EU-Bürger in den vergangenen Monaten unsicher, ob eine Information im Internet wahr oder falsch ist. Rund ein Drittel der Befragten sehen in sozialen Medien eher negative Auswirkungen auf die Demokratie und ein überwältigend großer Anteil, jenseits von 80 Prozent, sehen die Plattformen bzw. die Politik gefordert, Maßnahmen gegen Desinformation zu ergreifen.
„Interessant ist, dass das Bewusstsein, häufig mit Falschmeldungen konfrontiert zu sein, keine Abwendung von diesen Medien nach sich zieht“, heißt es in der ÖAW-Studie, die sich auch mit den vielfältigen Mechanismen und Dynamiken der Plattformen auseinandersetzt. Etwa, dass negative Nachrichten öfter konsumiert werden; dass Polarisierung und Emotionalisierung befördert werden; dass an den politischen Rändern verortete Personen überrepräsentiert sind.
Kaum Evidenz
„Die genannten Mechanismen und Effekte stellen insbesondere für die repräsentative Demokratie ein Risiko dar. Die Schwächung der repräsentativen Demokratie ist nicht mit den sozialen Medien entstanden, aber diese haben weitere Gefährdungen hinzugefügt“, schließt die Forschergruppe. Dass in autokratischen Systemen Social Media positiv wirken könnten, wird in der Stellungnahme zwar erwähnt, aber gleichzeitig eingeschränkt. Die entsprechenden Zuschreibungen im Zuge des Arabischen Frühling seien zu einseitig gewesen und die Dienste später dann auch von Machthabern gezielt zur Überwachung der Bevölkerung eingesetzt worden.
Wie groß die Gefahr für die Demokratie wirklich ist, sei nach wie vor Gegenstand der Forschung. Untersucht wurde bisher die versuchte Einflussnahme bei den US-Wahlen. Erstens hätten damals mehrere Millionen russischer Bots auf X (Twitter) Desinformation verbreitet, zweitens gab es durch die Datenfirma Cambridge Analytica den Versuch, via Facebook-Daten „soziopolitische Verwundbarkeiten zu identifizieren, um diese dann ausnutzen zu können“. In beiden Fällen konnte aber keine Evidenz gefunden werden, ob dies zu einem tatsächlichen Einfluss auf die Meinungsbildung geführt hat.
Digitaler Ordnungsruf für Politiker und Selbstregulierung
Die ÖAW legt dem Parlament insgesamt sechs Empfehlungen vor. Politiker sollen sich demnach einen Verhaltensindex auferlegen, bei dessen Missachtung ein digitaler Ordnungsruf erteilt werden kann. Zudem sollte ein Gremium der Selbstregulierung eingerichtet werden, ähnlich dem PR-Ethikrat, was politische Werbung auf Social Media betrifft. Drittens soll die politische Kommunikation einem ständigen Monitoring unterzogen werden, auch hinsichtlich Reichweiten und Inhalten. Um klassische, redaktionell kuratierte Medien zu stärken, schlagen die Wissenschaftler eine gezielte und wirkungsvolle Förderung von Qualitätsmedien vor.
Positiv sieht die ÖAW den Digital Services Act auf europäischer Ebene. Doch dies gehe nicht weit genug: „Von zentraler Bedeutung ist auch die Schaffung digitaler Plattformen und Infrastrukturen, die im öffentlichen Eigentum stehen“, heißt es. Als sechsten Punkt wird im Papier eine Stärkung der Medienkompetenz genannt. Journalistische Tugenden müssen zur Allgemeinbildung werden.