Das Ergebnis sorgt für Partystimmung. Lena Schilling jubelt, bedankt sich, mit so viel Zustimmung „hab ich wirklich nicht gerechnet“. Die 23-jährige Wienerin bittet sämtliche Vertreter und Vertreterinnen grüner Jugend- und Schülerorganisationen auf die Bühne, sie wolle den Moment gemeinsam mit anderen jungen Menschen feiern, die jene Partei mitgestalten, für die sie in den kommenden Monaten in den EU-Wahlkampf ziehen wird. Gemeinsame Fotos werden gemacht, minutenlang füllt Applaus die Grazer Messehalle.
243 Delegierte haben sich am Samstag in der Grazer Messehalle versammelt, um die Weichen für die Wahl zum Europaparlament am 10. Juni zu stellen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, Justizministerin Alma Zadic und Sozialminister Johannes Rauch sind als Mitglieder des Bundesvorstands ebenso vertreten wie Parteichef Werner Kogler, Klubchefin Sigi Maurer, zahlreiche Abgeordnete aus Nationalrat und Landtagen sowie Vertreterinnen und Vertreter aller Landesorganisationen. Die Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner freut sich über das Schaulaufen grüner Parteigranden in Graz, ein Bundeskongress in der Stadt „mit rot-grün-roter Mehrheit und drei Frauen an der Spitze“ sei „überfällig“ gewesen.
96,6 Prozent der Stimmen für Lena Schilling
96,6 Prozent der Stimmberechtigten kann Schilling – Klimaaktivistin, „Krone“-Kolumnistin und Tanzlehrerin – mit ihrer Brandrede überzeugen. Sie habe beobachtet, dass rechtsextreme Kräfte europaweit an Zulauf gewinnen, sagt Schilling, verweist auf FPÖ-Chef Herbert Kickl und seine „Fahndungsliste“ sowie ein Geheimtreffen rechter und extremer Gruppierungen in Deutschland, bei dem Pläne für Massendeportationen gewälzt wurden. „Wenn ich all das höre, weiß ich, es ist Zeit“, ruft Schilling in die Menge. Als ersten Schritt in die Politik will sie die EU-Kandidatur aber nicht verstanden wissen, denn schon die Klimabewegung habe Politik gemacht, nur eben „auf der Straße, nicht im Parlament“.
Begonnen hatte die grüne Listenerstellung holprig. Lange galt Gewessler als Favoritin für eine Spitzenkandidatur, winkte aber im November ab. Mangelnde Alternativen sollen der Grund gewesen sein, warum die Grünen ihren Bundeskongress von Dezember auf Februar verschieben mussten. Denn auch Schilling, um die die Grünen seit Längerem geworben hatten, hatte sich zunächst geziert, sagte dann aber doch zu.
Grüne wollen drei Mandate in Brüssel halten
Dass die junge Aktivistin ein Mandat in Brüssel und Straßburg erhalten wird, ist äußerst wahrscheinlich. Die Grünen hoffen, beim Urnengang im Juni ihre aktuell drei Sitze halten zu können, Umfragen räumen ihnen dafür realistische Chancen ein. EU-Mandatar Tom Waitz und die oberösterreichische Landtagsabgeordnete Ines Vukajlović werden am Samstag auf die aussichtsreichen Listenplätze zwei und drei gewählt, dass ihre Reden überzeugen, ist in der Halle spürbar. Vorsichtshalber besetzen die Grünen aber auch die Plätze vier bis sechs.
Dass ein vierter Sitz im EU-Parlament wenig aussichtsreich ist, dürfte den meisten im Saal bewusst sein. Bevor das Ergebnis der Abstimmung um den Listenplatz vier verkündet wird, dauert es, bis Gäste und Delegierte den Weg zurück zu ihren Sesseln finden. Gewählt wird schließlich Quereinsteiger Michael Eschlböck, er ist derzeit Präsident des österreichischen Footballverbandes. Abgestimmt wird übrigens via analoger Stimmzettel, die vorgesehenen elektronischen Stimmgeräte machen zu viele Probleme. Aber immerhin habe man ein verlässliches Ergebnis und werde nicht in zwei Tagen Gegenteiliges verkünden müssen, spielt die Moderation auf die Panne beim SPÖ-Parteitag im vergangenen Juni an. Einzig die Frage nach dem Lieblingstier der Delegierten, mit der die Funktion der Stimmgeräte getestet werden hätte sollen, kann nicht abschließend geklärt werden. Sympathien gibt es aber offenbar für Katzen und Frösche.
Jahrestag des Ukraine-Kriegs überschattet Bundeskongress
Überschattet wird die lockere Stimmung in der Grazer Messehalle vom Krieg in der Ukraine, schließlich jährt sich der russische Einmarsch am Samstag zum zweiten Mal. Mehrere Rednerinnen und Redner nehmen darauf Bezug, allen voran Parteichef Kogler. „Wenn Putin aufhört, ist dieser Krieg zu Ende, wenn die Ukraine aufhört, wird sie ausgelöscht“, mahnt der Vizekanzler, legt sich eine blau-gelbe Flagge um die Schultern und sichert dem angegriffenen Staat die volle Solidarität seiner Partei zu. Doch trotz multipler Krisen und „massiven Angriffen auf das demokratische, liberale und weltoffene Europa“ brauche es Zuversicht, appelliert Kogler. „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, werde Shakespeares Hamlet, laut Kogler „ein schöner Suderant“, zuletzt gerne zitiert. Er selbst beziehe sich lieber auf Jean-Paul Satre: „Es mag bessere Zeiten geben, aber diese, diese sind die unseren.“ „Sehr gut und langatmig“ seien die Ausführungen Koglers gewesen, wird der scheidenden EU-Mandatarin und Fernsehköchin Sarah Wiener später bei ihrer Abschiedsrede herausrutschen, was allgemein aber mit wohlwollendem Gelächter quittiert wird.
Wenig Zeit bleibt für die Diskussion der beiden Leitanträge, die mit eindeutiger Mehrheit angenommen werden. Dass kaum Fragen gestellt werden, enttäuscht einzelne Anwesende. Allerdings finden sich in dem 13 Seiten langen Papier vor allem grüne Kernforderungen: Der Ausbau des Schienenverkehrs, mehr Tempo beim Umstieg auf erneuerbare Energien und Bekenntnisse zu den Menschenrechten sind nur drei der zahlreichen Forderungen, die innerhalb der grünen Reihen kaum für Kontroversen sorgen dürften.
Die nächste Gelegenheit, parteiintern zu diskutieren, steht überdies bald bevor: Schon am 22. Juni wird der nächste Bundeskongress in Wien über die Bühne gehen, um die Partei auf die Nationalratswahl im September einzuschwören.