„Ich mache nicht jetzt erst den Schritt in die Politik, wir als Klimabewegung haben Politik gemacht.“ Die Grünen haben am Samstag Klimaaktivistin Lena Schilling auf den ersten Listenplatz für die EU-Wahl gewählt. 96,6 Prozent der Stimmen konnte die 23-Jährige – die einzige Kandidatin für den ersten Listenplatz – für sich gewinnen. 243 Delegierte haben sich am Samstag in Graz für den Bundeskongress der Grünen versammelt, um die Partei fit für den europaweiten Urnengang im Juni zu machen.
Parteichef Werner Kogler appellierte eingangs für mehr Zuversicht und erinnerte an grüne Errungenschaften in der Bundesregierung. Die Anpassung der Sozialleistungen an die Inflation habe man etwa durchgesetzt, ebenso „das Justizbudget erhöht wie nie zuvor“. „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, werde Shakespeares Hamlet, laut Kogler „ein schöner Suderant“, zuletzt gerne zitiert, er beziehe sich lieber auf Jean-Paul Satre: „Es mag bessere Zeiten geben, aber diese, diese sind die unseren.“ Dennoch werde das „demokratische, liberale, weltoffene Europa“ derzeit „massiv angegriffen, von innen und von außen“. Kogler erinnerte auch an den zweiten Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine, versicherte dem angegriffenen Staat die volle Solidarität der Grünen. Als er sich auch der Bühne in eine blau-gelbe Flagge hüllt, gibt es Standing Ovations.
Abgesehen von Schillings Spitzenplatz werden am Nachmittag auch die Listenplätze zwei bis sechs besetzt. Auf Platz zwei konnte sich Tom Waitz, bereits in der laufenden Legislaturperiode für die Grünen im EU-Parlament, gegen Mitbewerber Erwin Mayer durchsetzen. Platz drei ging an Ines Vukajlović, derzeit grüne Landtagsabgeordnete in Oberösterreich. Dahinter folgt Michael Eschlböck, Präsident des American Football-Verbands Österreich. Aktuell stellen die österreichischen Grünen drei Abgeordnete im EU-Parlament, neben Waitz sind das Monika Vana und Fernsehköchin Sarah Wiener. Die beiden Frauen verzichteten auf eine erneute Kandidatur.
Unabhängigkeit von Diktaturen im Fokus
Abseits der Listenerstellung wurden auf dem Bundeskongress auch zwei Leitanträge angenommen, wohl ein Vorgeschmack auf das EU-Wahlprogramm der Grünen. Im ersten Antrag, den Gesundheitsminister Johannes Rauch und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eingebracht haben, finden sich viele grüne Klassiker, etwa Bekenntnisse zu mehr Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energie, Verbesserungen beim Schienenverkehr in der EU und die Kennzeichnungspflicht von Gentechnik bei Lebensmitteln. Auch die österreichische ökosoziale Steuerreform soll laut dem Antrag zum Vorbild für Europa werden, mittels CO₂-Bepreisung sollen Maßnahmen für jene Menschen finanziert werden, die von steigenden Energie- und Transportkosten besonders stark betroffen sind.
Der zweite Leitantrag, eingebracht von Klubchefin Sigi Maurer und Justizministerin Alma Zadic, hat einen außen- und sicherheitspolitischen Fokus. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine sei die zentrale Herausforderung für die europäische Sicherheit, man bekunde weiterhin die volle Solidarität mit dem angegriffenen Staat und seiner Bevölkerung. Bezogen auf den Nahost-Konflikt erneuern die Grünen ihre Verurteilung des Hamas-Terrors und betonen Israels Recht zur Selbstverteidigung. Allerdings müssten die Verhältnismäßigkeit sowie die Grundsätze des humanitären Völkerrechts gewahrt werden. Aufgrund der Lage in Gaza brauche es zudem eine rasche Aufstockung der humanitären Hilfe aus Österreich und der EU sowie längere Waffenruhen, um diese Betroffenen zukommen zu lassen.
Um Abhängigkeit von Diktaturen zu vermeiden, appellieren die Grünen für verstärkte Überprüfungen von Investitionen aus Drittstaaten, „damit jene identifiziert werden, die eine Gefahr für die Sicherheit, die Wirtschaft oder die strategischen Interessen der EU darstellen“. Auch brauche es eine wirksame Regulierung für digitale Plattformen und den Einsatz künstlicher Intelligenz sowie strengere Gesetze im Kampf gegen Hass im Netz.
Schwentner und Krautwaschl eröffnen Bundeskongress
Eröffnet wurde der Bundeskongress von der Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner. Viel sei bei den Grünen passiert, seit sie 2008 das erste Mal an einem Bundeskongress teilgenommen hat, sagte die grüne Grazer Vizebürgermeisterin Judith Schwentner, deren Rede das Zusammenkommen der Delegierten eröffnete. „Einige Höhen, ein sehr großes Tief und Regierungsverantwortung auf allen Ebenen“ habe die Partei seither erlebt, nun freue sie sich aber, den Bundeskongress willkommen zu heißen, „in einer Stadt mit rot-grün-roter Mehrheit und drei Frauen an der Spitze“.
Man habe seit der Wahl 2021 viel erreichen können, sagt Schwentner und verweist etwa auf die neuen Straßenbahnlinien, die aktuell in Graz gebaut werden. Die steirische Parteichefin Sandra Krautwaschl dankte in ihrer Rede vor allem den Grünen in der Bundesregierung. Sie hätten umgesetzt, wovon andere nur geredet hätten, etwa ein Klimaticket, einen Pfand auf Plastikflaschen oder ein Informationsfreiheitsgesetz. Derzeit seien aber in ganz Europa Parteien auf dem Vormarsch, die durch Hass und Hetze „das Schlechteste in den Menschen hervorbringen“. Die Grünen seien ein Gegenmodell dazu, „und das werden wir beweisen, in diesem wunderbaren Jahr mit so vielen Chancen“, hofft Krautwaschl. Gewählt wird schließlich nicht nur das EU-Parlament und der Nationalrat, sondern unter anderem auch der steirische Landtag.