Die Zeit heilt alte Wunden. Das Sprichwort gilt im echten Leben wie in der Politik. Verdrängen, vergessen – und auch verzeihen – sind notwendige Eigenschaften. Ansonsten wäre etwa die laufende Werbeoffensive für eine neuerliche Zusammenarbeit der beiden Traditionsparteien ÖVP und SPÖ kaum vorstellbar. All die zermürbenden Kleinkriege, Hax‘lbeißereien und kleinen Gemeinheiten, die sich Schwarz/Türkis und Rot über die Jahre und Jahrzehnte geliefert haben, scheinen mit einem Kanzler Herbert Kickl vor Augen auf einmal klein nichtig.
Den Stein brachte Peter Kaiser ins Rollen. Der Kärntner Landeshauptmann machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und erklärte, eine Neuauflage der ehemaligen großen Koalition wäre „gut für Österreich“. Als wäre es abgesprochen, nahm dessen steirischer Amtskollege, Christopher Drexler (ÖVP), die Vorlage aus Kärnten volley: Ein Bündnis mit der SPÖ im Bund sei auch ihm „bei weitem“ lieber als eines mit der FPÖ – das war in der Steiermark nicht immer so, wie sich ältere Semester noch erinnern. Kurz darauf stießen die Tiroler Anton Mattle (ÖVP) und Georg Dornauer (SPÖ) mit dem Wiener Michael Ludwig (SPÖ) ins gleiche Horn. Allein der Burgenländer Hans Peter Doskozil (SPÖ) löckte einmal mehr wider den Stachel: Solchen Überlegungen zur jetzigen Zeit könne er überhaupt nichts abgewinnen.
Andreas Babler wird seinen Augen und Ohren nicht getraut haben: Ausgerechnet dessen pannonische Nemesis schlug sich auf die Seite des einstigen Rivalen um den SPÖ-Parteivorsitz. Die beiden so ungleichen wie unwahrscheinlichen Verbündeten eint die Absage an eine Koalition mit „dieser ÖVP“. Das ist gar nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn im Unterschied zu den Freiheitlichen, wo sich die türkise Strategie auf den Slogan „nicht mit der Kickl-FPÖ“ festgelegt hat, ist bei der Volkspartei tatsächlich unklar, wie viele unterschiedliche Versionen es von dieser Partei im ganzen Land tatsächlich gibt. Eine begründete Vermutung lautet: So viele, wie es selbstbewusste Landeskaiser und Bündechefs gibt.
Doch zurück zur herbeigeredeten Rückkehr einer schwarz-roten (oder rot-schwarzen) Zusammenarbeit nach den nächsten Wahlen. Das kann man, zumal als roter wie schwarzer Landeschefs natürlich wollen, weil das eigene politische Dasein deutlich leichter wird. Doch in der Politik: Nicht alles, das man eigentlich anstrebt, sollte man auch unbedingt laut fordern (obwohl das ethische Puristen gewiss anders sehen, doch die sind in dieser Branche ohnehin dünn gesät).
Wobei die roten Granden womöglich wirklich nicht wissen, ob ihr Parteichef nur öffentlich nicht über eine Koalition mit der ÖVP reden will – oder diese auch innerlich ablehnt.
Der Grund liegt auf der Hand: Karl Nehammer muss, wenn er den Wahltag als ÖVP-Chef und womöglich auch Kanzler überleben will, zumindest halbwegs erfolgreich um die ehemaligen Wähler von Sebastian Kurz werben, die mittlerweile entweder direkt zur FPÖ zurückgekehrt sind oder sich in den Warteraum der Nichtwähler zurückgezogen haben. Und Bablers Schicksal hängt daran, ob es ihm gelingt, die SPÖ als linke Volkspartei gegen die neue Konkurrenz von Kommunisten und Bierpartei zu positionieren. Für die Spitzenkandidaten von ÖVP und SPÖ ist das Werben für die große Koalition deshalb pures Stimmengift.
Wer also einem schwarz-roten Bündnis nach der Wahl einen Gefallen tun will, redet im Wahlkampf nicht darüber, sondern macht sie einfach, wen sich nach der Wahl die Gelegenheit dazu ergibt.
Zumindest die Sozialpartner dürften das besser verstanden haben als die Landeshauptleute. Seit Monaten halten sich die Präsidenten von Wirtschaftskammer und Gewerkschaftsbund, Harald Mahrer und Wolfgang Katzian, konsequent zurück, wenn sie um ihre Meinung zur nächsten Regierung gefragt werden. Erst werde gewählt, dann verhandelt, bekommt man von beiden, wenn auch nicht wortwörtlich, so doch inhaltlich übereinstimmend, zu hören. Dabei ist das Interesse von Wirtschaftskämmerern und Gewerkschaftern an einem schwarz-roten Revival mindestens so ausgeprägt wie jenes der Länderchefs.
Bei der Industriellenvereinigung liegen die Dinge komplizierter, und das nicht nur, weil sie mehr Wert auf ihre Unabhängigkeit legt. Das hat sie in den 1990er und frühen 00er Jahren nicht daran gehindert, auf einem schwarz-blauen Kurs zu segeln. Umso auffälliger ist, dass man sich nun am Wiener Schwarzenbergplatz, dem Sitz der IV, zwar Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts macht, sich aber eisern jeder Parteinahme enthält.
Die Interessenvertreter von links wie rechts wissen nur zu gut, wie viel in den kommenden Jahren für die Republik auf dem Spiel steht.