Soll ich Dir einmal von der rechten und der linken Hand erzählen, mein Junge? Die Geschichte von Gut und Böse?“ So beginnt ein dämonisch guter Robert Mitchum in der Rolle des mörderischen Wanderpredigers Harry Powell in Charles Laughtons alptraumhaftem Klassiker „Die Nacht des Jägers“ den beiden Kindern die uralte Geschichte von rechts und links, von gut und böse, zu erzählen. Auf den Knöcheln seiner Hände hat er zwei Wörter tätowiert: Auf der linken sind es die Buchstaben H-A-S-S, „denn es war die Linke, mit der der fluchbeladene Kain seinen Bruder Abel zu Boden schlug“. L-I-E-B-E ist seiner rechten Hand eingeschrieben: „Diese Finger haben Adern. Sie führen zur Seele des Menschen. Die rechte Hand ist die Hand der Liebe.“
Das war die alte Geschichte von rechts und links: Wer das Herz am rechten Fleck hatte, war ein Guter, und hüten sollte man sich vor allen, die eine linke Tour drehen. Im Sprachgebrauch ist dies noch lebendig, doch in der politischen Debatte steht sie längst Kopf: Hunderttausende Menschen gehen derzeit in Deutschland und Österreich mit dem Motto „Aufstehen gegen rechts“ auf die Straßen, wo die Omas und Opas „gegen rechts“ längst sind. Auch im täglichen politischen Schlagabtausch macht sich kaum noch jemand die Mühe, zwischen rechts und rechtsextrem zu unterscheiden. Selbst in Qualitätsmedien wie der „Süddeutschen Zeitung“ finden sich Schlagzeilen wie „Razzia gegen rechte Jugendorganisation“ oder „Der Kampf gegen rechte Schläger“, wenn eigentlich von rechtsextremen Gruppen die Rede sein sollte.
Rechts ist in der Politik das neue Böse. Wie konnte es so weit kommen und was bedeutet das für das ganz normale, die bürgerliche Rechte?
Die Macht über die Begriffe
„Hätte die ÖVP bei ihrer Neugründung 1945 von sich selbst behauptet, sie sei eine rechte Partei?“, antwortet der linke Publizist Robert Misik mit einer Gegenfrage. Dass sich die Volkspartei stattdessen als christlichsoziale Sammelbewegung verstand, sei auf die eben erst niedergerungene NS-Diktatur Hitlers und die Distanzierung vom Dollfuß-Regime und anderer rechter Diktaturen wie jene Mussolinis zurückzuführen. Aber warum haben Stalin, Mao, Pol Pot oder die Kim-Dynastie nicht das Gleiche für die Linke bewirkt? „Ich weiß es nicht“, antwortet Misik entwaffnend ehrlich.
Der Schriftsteller Antonio Gramsci, einer der Gründer der italienischen Kommunisten, der in einer Gefängniszelle der Faschisten starb, entwickelte das Konzept der kulturellen Hegemonie. Dabei ringen die Ideologien, vereinfacht gesagt, um die Lufthoheit über den Stammtischen. Was die Diskreditierung von rechts angeht, hat die Linke unzweifelhaft die Definitionsmacht erobert – und zwar bis weit in die Mitte hinein. Dem stimmt auch Misik zu, wenngleich er einschränkt: Ob dieser „Sieg“ bei den ganz normalen Menschen wirklich ankommt, sei eine ganz andere Frage: „Den meisten ist schlicht egal, ob etwas rechts oder links ist.“ Einzige Ausnahme: Themen, die heftig umstritten und darüber hinaus auch noch emotional massiv aufgeladen sind, wie zum Beispiel alles, was mit Migration zusammenhängt, Maskenpflicht und mittlerweile auch Impfungen.
Doch zurück zu rechts und links, von dem Ernst Jandl in seinem Gedicht „lichtung“ einst behauptete: „manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern werch ein illtum“. Aber das ist lange her, 1966, und seitdem haben sich die Koordinaten des politischen Systems grundlegend verschoben.
Dass die Rechte moralisch verwerflich sei, ist für den Moraltheologen Ulrich Körtner zunächst einmal eine Überzeugung bekennender Linker: „Im politischen Sprachgebrauch entstand die Einteilung in rechts und links aus der Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung 1798, das war ursprünglich völlig wertneutral.“ Auffällig ist für Körtner, dass sich Konservative wie Christlichsoziale so gut wie nie selbst als rechts bezeichnen, während sich Sozialdemokraten, Grüne oder Kommunisten wie selbstverständlich links verorten. Rechts ist deshalb meist eine Zuschreibung von Gegnern, Medien oder Wissenschaft, aber in der Regel keine Selbstdefinition von Politikern oder Parteien.
Das Versäumnis der demokratischen Rechten
Doch wie sich die Volkspartei selbst nennt und wo sie sich im politischen Spektrum einordnet, ist ihre Sache. Sehr viel wichtiger für die demokratische Kultur ist, was aus dem einst normalen Rechts wird: Setzt sich die Gleichsetzung mit Rechtsextremismus durch – oder kapert das Extrem seinen demokratisch zivilisierten Nachbarn?
Tatkräftige Unterstützung erhalten die Radikalen beim Versuch dieser Übernahme von der demokratischen Rechten selbst. Diese hat auf ein klares politisches Profil verzichtet. Ob aus Denkfaulheit, Gleichgültigkeit oder opportunistischen Gründen des Machterhalts, wäre zu diskutieren. „Die Orientierungslosigkeit der konservativen Parteien in Europa hat sich auf jeden Fall zum Problem für den Begriff rechts entwickelt“, sagt dazu Bertram Barth, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Integral. Das räche sich jetzt, wo immer mehr Menschen „den rechten Rand als demokratiegefährdend wahrnehmen“.
Für Barth stehen die extreme und die demokratische Rechte mitten in einem Aushandlungsprozess darüber, wo die Grenzen des demokratisch Zulässigen verlaufen: „Der Ausgang ist offen.“ Vor allem aber: Ohne Zutun der Demokraten wird er nicht zu gewinnen sein. Selbstbewusst und unabhängig von den Etikettierungen der Konkurrenz.