Mehr Sachleistungen, weniger Geld. Die ÖVP fordert in ihrem kürzlich präsentierten „Österreichplan“ eine Reform des Sozialsystems. Österreich solle in Zukunft „ausschließlich Sachleistungen und zweckgebundene Sachleistungsgutscheine statt Geldleistungen“ gewähren, heißt es wörtlich. Dabei bleibt allerdings unklar, welche Sozialleistungen für welche Personengruppen konkret umfasst sind. Dienen soll die Reform jedenfalls insbesondere dazu, die „Zuwanderung ins Sozialsystem zu stoppen.“
Befeuert wird die Idee von der Einigung der deutschen Bundesländer auf einheitliche Standards für eine Bezahlkarte für Asylwerber. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will noch im Februar mit einem Pilotprojekt vorpreschen. „Unsere Bezahlkarte kommt schneller und ist härter“ als in anderen Bundesländern, schrieb Söder am Sonntag auf „X“. So sollen Online-Shopping, Glücksspielteilnahme und Überweisungen ins Ausland gestoppt werden.
Neu ist das Thema nicht. Schon Türkis-Blau rückte Sachleistungen in den Vordergrund. Die Regelung, wonach die Länder erhöhten Wohnbedarf oder besondere Härtefälle nur mittels Sachleistungen abfedern dürfen, wurde aber vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Auch die FPÖ fordert immer wieder, Zugewanderten ausschließlich Sachleistungen zukommen zu lassen. Allerdings erhalten Asylwerberinnen und Asylwerber während ihres Verfahrens die sogenannte Grundversorgung zu einem großen Teil in Form von Sachleistungen, etwa mittels Verpflegung in organisierten Quartieren oder Bekleidungsgutscheinen. Erst, wenn Asyl gewährt ist, kann Sozialhilfe beantragt werden.
Auch der Kindergartenplatz ist eine Sachleistung
Sachleistungen des Sozialstaats begleiten den Alltag fast aller in Österreich. Wer sein Kind in einen öffentlichen Kindergarten schickt, nimmt ebenso eine Sachleistung in Anspruch, wie ein Jugendlicher, der seine Lernmaterialien im Rahmen der Schulbuchaktion erhalten hat. Dass die öffentliche Hand etwa selbst für den Betrieb von Kinderbetreuung und Spitälern sorgt, anstatt Bürgerinnen und Bürgern Geld zu überweisen, um diese Leistungen in privaten Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, sei sinnvoll, sagt Karin Heitzmann, Sozioökonomin an der Wirtschaftsuni Wien. „Suchen Eltern beispielsweise eine Betreuungsmöglichkeit für ihr Kind, ist Geld alleine kein taugliches Mittel, wenn es keinen Kindergarten in der Gemeinde gibt“, erklärt sie.
Aber hätte eine zusätzliche Ausweitung von Sachleistungen, sei es bei Grundversorgung oder Sozialhilfe, Vorteile für den Staat oder Bezugsberechtigte? Die Theorie dahinter ist nachvollziehbar: Geld kann für andere Zwecke verwendet werden, als eigentlich vorgesehen, wer dagegen Kleiderspenden oder Lebensmittelgutscheine erhält, hat weniger Spielraum. In eine ähnliche Richtung geht auch der deutsche Entschluss, eine „Bezahlkarte“ für Asylwerber einzuführen – eine Idee, die der österreichische Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) mittlerweile aufgegriffen hat. Das Geld auf der Karte soll nur verwendet werden können, um in Deutschland seine Bedürfnisse zu decken, nicht, um Geld ins Herkunftsland zu überweisen.
„Eine gewisse Wahlfreiheit muss es geben“
Franz Schellhorn, Direktor des neoliberalen Thinktanks Agenda Austria, sieht einen Ausbau von Sachleistungen dennoch skeptisch. „Man muss immer vorsichtig sein, wenn eine Mehrheit versucht, die Rechte einer Minderheit einzuschränken“, sagt er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung in Bezug auf die Debatte rund um Asylwerber. „Sachleistungen sind keine Menschenrechtsverletzung, aber eine gewisse Wahlfreiheit, muss gegeben sein.“
Per se seien Sachleistungen nicht besser oder schlechter als Geldleistungen, erklärt Heitzmann. Entscheidend sei immer der Zweck einer Sozialleistung, unabhängig davon, in welcher Form diese bereitgestellt wird. „Geht es bei der Forderung nach Sachleistungen darum, eine prekäre Lebenslage bestmöglich abzufedern, oder steht dahinter die Skepsis, dass Leute nicht gut mit Geld umgehen können?“
Je individueller eine Sozialleistung, desto teurer
Letzteres befürchtet Martin Schenk von der Armutskonferenz, einem Zusammenschluss mehrerer sozialer Organisationen. „Die Forschung zeigt, dass ärmere Menschen oft sehr gut mit Geld umgehen können und auf den Cent genau wissen, was sie wofür ausgeben“, meint Schenk. In bestimmten Fällen, etwa bei suchtkranken Menschen, sei es sinnvoll, wenn die zuständige Stelle etwa die Miete direkt an den Vermieter überweist. „Da geht es aber um begründete Ausnahmen“. Werden Sachleistungen dagegen pauschal angeordnet, führe das zu „Stigmatisierung, weniger Selbstständigkeit und Almosenwirtschaft“.
Fest steht, dass die Gewährung von Sachleistungen mit bürokratischem Aufwand verbunden ist, der zusätzliche Kosten verursachen kann. Wie viel genau, ist schwer zu beziffern – auch deshalb, weil die Vorstellungen der Volkspartei vorerst vage bleiben. „Eine universelle Sachleistung ist normalerweise nicht wirklich teuer“, sagt Heitzmann und nennt als Beispiel ein Kinderbetreuungsangebot in einer Gemeinde, von dem viele Familien profitieren. Grundsätzlich gelte aber: Je eher eine Sozialleistung auf die individuellen Bedürfnisse einer Person zugeschnitten ist, desto mehr administrativer Aufwand entsteht.