Als die bleierne Schwere, die sich über die große Koalition gelegt hatte, im Frühsommer 2008 auf ihren Höhepunkt zusteuerte, trat der damalige ÖVP-Chef und Vizekanzler Wilhelm Molterer am 7. Juli vor die Presse und beendete mit dem bereits legendär gewordenen „es reicht“ den Spuk. Ein Aufatmen ging durchs halbe Land. Molterer verband mit dem Schachzug die Hoffnung, dass die ÖVP am Wahlsonntag den amtierenden Regierungschef Alfred Gusenbauer aus dem Kanzleramt verdrängen würde. Die Rechnung ging nicht auf. Die SPÖ wechselte ihren Spitzenkandidaten aus, inthronisierte Werner Faymann und stellte fünf kantige Forderungen auf. Die ÖVP konnte das Momentum bis zum Wahltermin Ende September nicht aufrechterhalten, verlor den Urnengang und verblieb in der undankbaren Position des Juniorpartners.
In England sind schnelle Neuwahlen möglich
Warum die Dynamik verebbt ist, liegt auch den langen Fristen. Während in Großbritannien innerhalb von 25 Arbeitstagen (!) Neuwahlen angesetzt werden müssen, sind es in Österreich zwischen 90 und 100 Tagen, die verstreichen müssen, ehe die Bevölkerung zu den Wahlurnen gerufen werden kann.
Wenn jetzt in der Volkspartei Überlegungen gewälzt werden, die Nationalratswahl, die am 29. September regulär stattfinden würde, auf Mai oder Juni vorzuverlegen, um nicht mit der Hypothek der zu erwartende Schlappe bei der EU-Wahl am 9. Juni in die Nationalratswahl zu gehen, stellt sich die Frage: Wann könnte überhaupt gewählt werden? Wann müssten ÖVP und/oder Grüne die Scheidungspapiere einreichen? Wann müsste der Neuwahlbeschluss erfolgen?
Frist wegen Auslandsösterreichern verlängert
Ein Blick in den österreichischen Feiertagskalender reicht: Würde am heutigen Sonntag die Entscheidung getroffen werden, könnte frühestens am 27. April gewählt werden. „Es bedarf dreier Plenarsitzungen des Nationalrats, ehe die Regierung Neuwahlen ausschreibt“, erklärt Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz das Prozedere. Die Verordnung wandert dann in den Hauptausschuss und zum Bundespräsidenten. Mit dem Beschluss wird gleichzeitig auch der Stichtag, der 82 Tage vor dem Wahlsonntag liegt, fixiert, deshalb ein Vorlauf von 90 bis 100 Tagen. Einst lag der Stichtag 60 Tage vor dem Wahltermin, wegen der Auslandsösterreicher wurde die Frist um weitere drei Wochen verlängert.
Drei verlängerte Wochenenden im Mai
Soll die Nationalratswahl nicht mit der EU-Wahl zusammenfallen, kommen nur zwei Termine, der 5. Mai und der 26. Mai, infrage. Einen Urnengang an einem verlängerten Wochenende, wo halb Österreich wegfährt, ist unwahrscheinlich. Dem 12. Mai geht Christi Himmelfahrt voraus, der 19. Mai fällt auf Pfingsten, dem 2. Juni geht Fronleichnam voraus. Soll am 5. Mai gewählt werden, müsste die Regierung um den 3. Februar herum die Reissleine ziehen. Wenn die Österreicherinnen und Österreicher am 26. Mai zu den Wahlurnen gerufen werden, müsste man sich spätestens um den 25. Februar herum entscheiden. Bei der Zusammenlegung könnte man noch bis Anfang März zuwarten.
Angst vor der Wahlanfechtung
In der Bundeswahlbehörde im Innenministerium hat man mit der Idee einer Zusammenlegung wenig Freude. Zwar müsste man nicht die Wahllokale verdoppeln. Da bei Europawahl in Österreich auch EU-Ausländer in Österreich wählen dürften, müssten doppelte Wähler- und Abstimmungsverzeichnis aufgelegt, zwei Wahlurnen aufgestellt wie auch zwei Wahlkuverts in unterschiedlichen Blautönen hergestellt werden. Die Angst ist groß, dass wegen möglicher Verwechslungen die Wahl angefochten und vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird.
Die Grünen müssten Zustimmung erteilen
Zögernitz selbst glaubt nicht an einen früheren Termin. Im Parlament würde die ÖVP zwar die nötige Mehrheit finden, es bedarf allerdings auch eines Beschlusses des Ministerrats, wo Einstimmigkeit herrscht. Ohne den Segen der Grünen sind keine vorgezogenen Neuwahlen möglich.