Bei Partymusik und leichtem Regen füllt sich die Wiener Ringstraße. „Es ist cool, was in Deutschland abgeht. Jetzt gibt es eine Möglichkeit zu zeigen, dass man auch in Österreich dagegen sein kann“, sagt eine junge Frau, die eigens aus Graz zu der Großdemonstration in der Wiener Innenstadt angereist ist. Unter das schlichte Motto „Demokratie verteidigen“ haben die Veranstalter die Kundgebung gestellt. Auf gut 10.000 Teilnehmende hatten Fridays for Future, die Plattform für eine menschliche Asylpolitik und die Organisatoren des Black Voices Volksbegehren im Vorfeld gehofft, um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu setzen. Geworden sind es deutlich mehr. 35.000, sagt die Polizei, 80.000 zählen die Veranstalter. Auch in Innsbruck und Salzburg gingen Menschen auf die Straße.
Bilder von der Kundgebung in Wien
Vorbild ist eine Reihe von Großdemos in mehreren deutschen Städten. Zuvor hatte die Rechercheplattform „Correctiv“ über ein „Geheimtreffen“ von rechten und rechtsextremen Gruppierungen berichtet, bei denen Pläne zu Massenabschiebungen diskutiert wurden. Anwesend waren unter anderem hochrangige Vertreter der AfD und der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner.
„Wir sind da, weil in Österreich etwas in die ganz falsche Richtung geht“, sagt eine junge Oberösterreicherin. Die Umfragen zur Nationalratswahl, die die FPÖ seit Monaten anführt, stimmen sie nachdenklich, fügt ihre Begleiterin hinzu. „Menschenrechte statt rechte Menschen“, steht auf einem Pappschild, das ein oberösterreichischen Mutter-Sohn-Duo mit zur Demo gebracht hat. Sie habe „unbedingt etwas machen wollen“, erklärt die Mutter, sie ist froh, dass nun auch in Österreich demonstriert wird.
SPÖ und Grüne unterstützen Veranstaltung
SPÖ und Grüne hatten die Veranstaltung in Wien im Vorfeld begrüßt, die designierte grüne EU-Spitzenkandidatin Lena Schilling und SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler sind vor Ort. Unterstützung kommt auch von zahlreichen NGOs, von Amnesty International über die Volkshilfe bishin zur Katholischen Jugend.
Jubel gibt es am Freitagabend für zahlreiche prominent besetzte Redebeiträge. Sie sei „nicht überrascht“ über das rechte Geheimtreffen in Deutschland. „Aber wir sollten schockiert sein“, appelliert die Ärztin und SPÖ-Politikerin Mireille Ngosso. Autorin Julya Rabinowicht ortet einen „kalten Wind, der durch die Ritzen des ‚Nie wieder‘ bläst“. Burgschauspielerin Mavie Hörbiger trägt einen Text von Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek vor. „Ich höre ein Ungeheuer atmen, ich höre, wie der Atem der Demokratie schwächer wird“, warnt die Literatin darin.
Störaktion mit Transparent
Unruhe kommt kurzfristig auf, als auf dem Dach eines naheliegenden Gebäudes ein Transparent ausgerollt wird. Die Aufschrift ist in der Dunkelheit kaum nicht lesbar, die „Nazis raus“-Rufe aus der Menge lassen auf eine Störaktion schließen. Wenig willkommen sind auch Pro-Palästina-Demonstranten. Flaggen mit nationaler Bedeutung seien ausdrücklich nicht erwünscht, erinnert Schauspielerin Katharina Stemmberger, die durch den Abend führt. „Schleichts euch“, richtet sie jenen aus, die sich trotzdem in schwarz-rot-grüne Fahnen gehüllt unter die Teilnehmer gemischt haben.
Insgesamt ist das großteils junge Publikum bunt gemischt, linke Jugendgruppen protestieren ebenso wie Familien mit Kindern und Pensionisten. Er sei in die Innenstadt gekommen, um sich gegen die „beginnende und schleichende Gefährdung der Demokratie“ zu stellen, erklärt ein älterer Niederösterreicher im dichten Gedränge. „Wir müssen unsere Demokratie schützen und die Gleichheit der Menschen verteidigen“, sagt eine Demonstrantin aus dem Burgenland. Diese Überzeugung eint die Zehntausenden vor dem Parlament.