Im Wiener Straflandesgericht hat heute (nach Hartwig Löger) erneut ein ehemaliger ÖVP-Finanzminister vor dem Richter Platz genommen. Gernot Blümel sollte als Zeuge darüber Auskunft geben, inwieweit der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz und dessen Kabinettschef Bernhard Bonelli in die Bestellung der Spitze der Staatsholding ÖBAG involviert waren. Beide haben im Ibiza-Untersuchungsausschuss Einflussnahme bestritten, die Anklage wirft ihnen eine Falschaussage vor. Beide bestreiten die Vorwürfe und widersprechen Angaben von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid, der vor allem Kurz schwer belastet hatte.
Blümel stützte dabei in weiten Teilen die Angaben von Kurz bzw. verweigerte die Aussage. Am 30. Jänner geht es weiter, am 31. sollen die russischen Geschäftsmänner per Videoschaltung in Moskau befragt werden, vor denen Schmid angegeben haben soll, von der WKStA unter Druck gesetzt worden zu sein.
Der 9. Prozesstag zum Nachlesen
Die beiden Angeklagten haben den Saal betreten, Richter Michael Radasztics hat die Verhandlung eröffnet. Blümel will bereits in den Saal marschieren, doch der Richter hält ihn auf. „Ich rufe Sie gleich auf, bitte noch um etwas Geduld.“ Der Ex-Minister dreht wieder um. Als der Richter allgemeine Belehrungen über Film- und Fotoverbot abgegeben hat, wird er als Zeuge aufgerufen. Blümel, der einen schwarzen Rollkragen unter dem Anzug trägt, nimmt Platz.
Was bisher geschah
Anwalt hat Blümel Entschlagung empfohlen
Radasztics erzählt, dass ihm Blümels Anwalt darauf hingewiesen habe, dass er seinem Mandanten geraten habe, sich in manchen Fragen zum türkis-blauen Sideletter aus 2017 zu entschlagen – aufgrund laufender Ermittlungen. Das sei korrekt, sagt Blümel. Blümel führt auf Bitte des Richters seinen beruflichen Werdegang aus, Kurz kenne er „schon sehr lange und sehr gut“, man sei befreundet und dann auch beruflich verbunden gewesen. „Wir sind bis heute eng miteinander verbunden.“ Auch Bonelli kenne er schon länger und mittlerweile besser. Thomas Schmid kenne er auch „sehr gut und sehr lange“, man habe sich im Außenministerium kennengelernt, auch privat habe man viel miteinander zu tun gehabt. „Aktuell kein Kontakt“, man habe sich zum Geburtstag gratuliert und im Sommer das letzte Mal telefoniert.
Nun geht es um die damaligen Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ. Schmid habe ihm damals die unzufriedene Nachricht geschrieben: „Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!“ Blümel antwortete: „Pass auf, dass du nicht auf mich drauf springst (sic!).“ Auf die Frage nach dem Hintergrund des Richters zu dieser Nachricht erklärt Blümel, dass es ihm schwerfalle, einzelne Textnachrichten „zu hundert Prozent aus meiner Erinnerung nachzuvollziehen“, aber es könne darum gegangen sein, wer letztlich Finanzminister wird.
Keine Erinnerung an Schmids Ambitionen
Schmid habe es damals „nicht prickelnd“ gefunden, dass es Josef Moser Minister werden hätte können. Er habe aber keine „Schuld“ gesehen, die man hätte begleichen müssen, sagt Blümel auf die Frage, warum Schmid ihm „das bist du mir echt schuldig“ geschrieben habe. Der Nachrichtenverlauf sei zwischen zwei Vertrauten passiert und deshalb sehr salopp formuliert. Wann genau Schmid ihm eröffnet habe, ÖBAG-Chef werden zu wollen, daran kann sich Blümel nicht erinnern.
Dass er damals von Schmid einen „Zettel“ zur Neuaufstellung der Staatsholding verlangt habe, sei naheliegend gewesen, da Schmid entsprechende Expertise gehabt habe. Auf Nachfrage kann sich Blümel erneut nicht an genaue Hintergründe von Nachrichten erinnern, im Gegensatz zum heutigen Eindruck sei die ÖBAG damals nicht das zentralste Thema für ihn gewesen. Dass Blümel im damaligen Nominierungskomitee war, habe sich so ergeben, dass sich die FPÖ übervorteilt gefühlt habe, sei „politisches Geplänkel“ gewesen, diese habe ja zugestimmt. Das Komitee solle Aufsichtsratsmitglieder für die staatlichen Unternehmen zu nominieren.
„Meine Entscheidungen habe ich als Minister getroffen“
Es geht um Details zu Schmid-Chats und Unterlagen, Blümel gibt immer wieder an, das „heute nicht genau replizieren“ zu können. Kurz gestikuliert immer wieder aufgeregt Richtung seines Anwaltes, der schüttelt den Kopf. Warum in einer Nachricht von Namen die Rede ist, die von Kurz gekommen sein sollen? Dazu könne Blümel nichts sagen. Aber: „Meine Entscheidungen habe ich als Minister getroffen, das heißt aber nicht, dass nicht davor darüber gesprochen oder diskutiert wurde.“ Es könne sein, dass man davor über Dinge gesprochen habe.
Aber er habe entschieden, „aus“. Aber es werde doch einen Unterschied gemacht haben, ob der Vorschlag „von der Ortsgruppe Wolfgraben“ kommt oder vom Bundeskanzler, sagt der Richter. Er habe jedenfalls die Entscheidung so getroffen, wie es für ihn richtig war, sagt Blümel. Zudem sei auch nicht jeder Kurz‘ Meinung gewesen. Er selbst habe Schmid „sicher signalisiert“, dass er ihn für den Chefposten für geeignet gehalten habe. Auch, wenn er „keine Freude“ damit gehabt habe, dass dieser das Finanzministerium verlässt. „Irgendwann“ werde er wohl auch mit Kurz über Schmids Ambitionen gesprochen haben.
Warum „deine ÖBAG“?
Warum Blümel Schmid geschrieben hat, er habe „dir deine ÖBAG gerettet“? Das könne er heute nicht mehr genau sagen, aber damit sei wohl gemeint, dass Schmid im Finanzministerium dafür zuständig gewesen sei. Er habe sich damals wohl für irgendetwas eingesetzt. Die Nachricht „Schmid AG fertig“ von Blümel habe den Hintergrund gehabt, dass ja Schmid die „Knochenarbeit“ dafür geleistet habe, gibt dieser an.
Nach einer ersten Pause geht es weiter. Blümel betont in der Befragung: „Es war echt nicht mein größtes Problem, der ÖBAG-Aufsichtsrat.“ Natürlich sei er zu seiner Meinung zu Personen befragt worden, die eigentlich entscheidende Person sei jedoch Hartwig Löger als damaliger und zuständiger Finanzminister gewesen, sagt der damalige Kanzleramtsminister. „Je relevanter eine Position in der Öffentlichkeit war und die Möglichkeit, dass man dazu befragt wird, etwa von Journalisten“, umso relevanter sei eben die Abstimmung gewesen. Schmid habe immer wieder Dinge „zur Information oder whatever“ geschickt, jeder habe wissen wollen, was der Kanzler denkt.
„Keine Sorge, du bist Familie“, erste Entschlagung
Dann geht es um die inzwischen berühmte „Keine Sorge, du bist Familie“-Nachricht, die Blümel an Schmid gesendet hatte. Er habe die Nachricht als „mach dir keine Sorgen, beruhig dich“ empfunden, sagt der Zeuge. Dass Schmid als Zeuge ausgesagt hat, dass damit „du bist einer von uns“ gemeint gewesen sei, sei wohl „seine Wunschinterpretation gewesen, die ich ihm gar nicht nehmen möchte“.
Nach rund zwei Stunden Prozess kommt es zu Blümels erster Entschlagung. Es geht um Erwähnungen Blümels durch Löger und Schmid zu türkis-blauen Abmachungen. Da es dabei um den Sideletter geht, will der Zeuge dazu nichts sagen. Hier gebe es laufende Ermittlungen gegen ihn. Der Richter ist damit am Ende seiner Fragen, nun ist die Staatsanwaltschaft an der Reihe.
Scharmützel zwischen Blümel und Staatsanwalt
Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic will wissen, ob es Absprachen zu Aussagen im Prozess zwischen Blümel und Kurz gebe, man habe sich zu Beginn ja auch eine gemeinsame Rechtsvertretung geteilt. Eine Absprache habe es nie gegeben, sagt Blümel und nennt Adamovic versehentlich „Staatssekretär“ statt Staatsanwalt, dieser kontert mit „kann ja noch werden“. Der Richter beendet die kleine Debatte mit einem „Staatsanwalt oder Staatssekretär, Hauptsache Italien“. Kurzes Lachen im Saal.
Dennoch beginnt erneut eine Debatte zwischen Adamovic und Blümel, zu Ansprachen und nicht nachvollziehbaren Fragen, die mit einer Entschlagung Blümels endet. Die Staatsanwaltschaft kann das nicht nachvollziehen, Blümel bleibt dabei und wird auf Nachfrage patzig: „Ich bin kein Jurist“, aber er habe „gewisse Rechte“ als Zeuge. „Was is daran schwer zu verstehen?“ Kurz schüttelt den Kopf. Der Richter will weitergehen, auch bei den nächsten Fragen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) antwortet Blümel: „Ich entschlage mich.“ Erneut Unmut bei der WKStA, der Richter lässt die Entschlagung aber zu.
„Komme mir vor wie das Orakel von Delphi“
Dann geht es erneut um das Nominierungskomitee, es könne schon sein, dass Blümel Vorschläge gemacht habe, der Beschluss sei dann aber im Ministerrat erfolgt, erklärt der Zeuge auf die Frage der Staatsanwaltschaft. Auf einer Frage nach Kurz und dessen Verhältnis zur Sozialdemokratie antwortet er: „Ich komme mir vor wie das Orakel von Delphi“, das wisse er alles nicht. „Das Leben in der Bundesregierung ist das Leben in einem ständig gefühlten Ausnahmezustand“, erzählt Blümel etwas später, angesprochen auf die Frage von Schmid nach einer Sitzung in einer Nachricht. Ob er Schmid mitgeteilt habe, dass die Entscheidung zur ÖBAG bei ihm als Minister gelegen sei? Er habe ihn beruhigen wollen, es ist auch theoretisch möglich, dass er ihn angeloben habe.
Nach einer Mittagspause geht es weiter mit „nicht allzu vielen, aber noch ein paar Fragen“ der Staatsanwaltschaft. Wusste Blümel, dass der Unternehmer Siegfried Wolf als Kandidat für den ÖBAG-Aufsichtsrat im Gespräch war? Es habe Überlegungen gegeben, sagt Blümel, er könne sich aber nicht erinnern, für welche Rolle genau. Es verschwimme zudem, was er vorher wusste und was aus dem Aktenstudium an Kenntnissen dazukam.
„Strache schrieb emotionale Nachrichten“
Blümel werden Nachrichten zwischen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und dem Ex-ÖBB-Vorstand Arnold Schiefer vorgelegt, in denen es um die ÖBAG-Umstrukturierung geht und in denen Strache etwas ungehalten schreibt. „Dass der Herr Strache immer wieder recht emotionale Nachrichten geschrieben hat, ist mir in Erinnerung. Dass die Fakten da nicht immer ganz zusammengestimmt haben, ist mir auch in Erinnerung“, sagt Blümel. Es habe in der Koalition aber „ständig“ Konflikte gegeben. „Es gibt ständig das Bedürfnis nach emotionaler Aussprache, nach Teambuilding.“
Die WKStA ist fertig mit ihren Fragen, nun ist Kurz-Verteidiger Otto Dietrich am Wort. Er will wissen, ob Kurz geplant habe, dass Schmid ÖBAG-Chef wird. Er habe gewusst, dass Schmid den Posten will und darüber werde er mit Kurz „sicher einmal gesprochen“ haben. Aber, dass die Planung von Thomas Schmid als ÖBAG-Chef von Kurz ausgegangen wäre? Dieser habe daran kein großes Interesse gehabt, diesbezüglich sei „von Sebastian Kurz keine Planung ausgegangen“. Und er wiederholt: Im Vergleich zu damals relevanten Themen sei die ÖBAG „ein Pipifax“ gewesen.
Befragung im U-Ausschuss „modernes Scherbengericht“
Habe Schmid in seinen Nachrichten zum Dramatisieren geneigt? Er sei jedenfalls der Typ dafür gewesen, gibt Blümel an. Es gebe coolere Typen als Schmid, er habe viel und auch immer offensiv kommuniziert, wenn er „etwas Tolles gemacht hat“. Ob Kurz selbst Namen für den Aufsichtsrat ins Spiel gebracht habe? Kann sein, muss aber nicht sein, sagt der Zeuge.
Nun ist Bonellis Anwalt Werner Suppan am Wort. Er will, dass Blümel die Situation bei der Befragung im U-Ausschuss beschreibt. „Kafkaesk“, sagt Blümel, „unangenehm, ein modernes Scherbengericht“. Es sei darum gegangen, „politische Mitbewerber zu erledigen, das ist meine Empfindung und meine Meinung“.
Kurz: ÖBAG-Entscheidung war „Schwarmintelligenz“
Das war‘s mit Blümels Befragung, er darf den Saal verlassen. Kurz meldet sich mit einem Statement zu Wort, was der WKStA nicht passt. Sie spricht sich gegen „diese Zwischenplädoyers“ aus. Der Richter lässt Kurz dennoch gewähren, der sich kurzfassen will, aber nach „tagelangem Zuhören“ sei es ihm ein Bedürfnis, etwas zu sagen. Er habe „noch nie so viel Wissen zu diesem Thema gehabt wie jetzt“. Im U-Ausschuss werde man aber zu Dingen befragt, die lang zurückliegen und die eigenen Worte würden dann auf die Goldschale gelegt. Er habe in Sachen ÖBAG keine Entscheidung getroffen, diese sei in Form von „Schwarmintelligenz“ zustande gekommen.
Er habe Schmid in seinen ÖBAG-Ambitionen „ein gutes Gefühl“ geben wollen, es habe von ihm aber keine strategische Planung dazu gegeben. Er habe generell anderen nie gesagt: „Du bist nicht qualifiziert, ich mag dich nicht.“ Sondern er habe immer gesagt: „Du wärst ein toller Minister, aber du wirst es aus dem oder dem Grund nicht.“ Er sei schlicht „nett gewesen“. Er habe Schmid sicher gesagt: „Du bist super, toi, toi, toi.“
Kurz: „Ich krieg schon langsam Schwammerl“
Dass ihm die WKStA unwahre Aussagen im Ausschuss vorwirft, wo er doch im ORF-Sommergespräch politische Verantwortung dazu übernommen habe, könne er sich nicht erklären. „Ich krieg‘ schon langsam Schwammerl“, poltert Kurz, seine Stimme überschlägt sich für einen Moment. Dann entschuldigt er sich für seine Emotionalität. Er fühle sich auch angesichts der Vorhalte der Anklage „gefrotzelt“, die mit selektiven Darstellungen arbeite. Zudem vergleiche man Äpfel mit Birnen. Auf Nachfrage des Richters gibt Kurz zudem an, kein Coaching im Vorfeld des Ausschusses erhalten zu haben.
Auch Bonelli meldet sich, nachdem Kurz fertig ist, zu Wort. Er habe, das gebe er zu, manchmal, wenn er etwas wollte, auch ohne Absprache angegeben, dass der Kanzler das so wolle. Dann werden die Dinge eher nicht mehr hinterfragt, sagt Bonelli. Und ist auch wieder fertig.
Russen werden befragt
Der Richter bespricht nun das weitere Vorgehen. Am 30. Jänner werden ÖBAG-Aufsichtsratschef Helmut Kern, Aufsichtsrätin Susanne Höllinger und Ex-Kabinettschef Bernd Brünner als Zeugen befragt. Am 31. Jänner ist Ex-Aufsichtsrat Günther Helm geladen. Und am Nachmittag sollen jene beiden russischen Geschäftsmänner befragt werden, die angegeben haben, dass Schmid ihnen gegenüber von falschen Angaben unter Druck der WKStA gesprochen habe. Die Befragung geschehe per Online-Übertragung, die Herren werden sich in der österreichischen Botschaft in Moskau einfinden, erklärt der Richter. Der (voraussichtlich) letzte Prozesstag sei für den 23. Februar vorgesehen. Damit ist die Sitzung beendet.
Danke für‘s Mitlesen!