Die Abgabenquote gibt den Anteil der Steuer- und Sozialversicherungseinnahmen des Staates gemessen am Bruttoinlandsprodukt an. Aktuell liegt sie bei 43 Prozent. Der Zielwert „unter 40“ gehört zu den Wahlkampf-Evergreens der ÖVP. Seit 1990 liegt die Quote jedoch darüber. Die Höhe der Abgaben und der Umfang des Sozialstaats sind für Monika Köppl-Turyna, Leiterin des liberalen Instituts EcoAustria, politische Entscheidungen, keine ökonomischen. Doch weil Österreich hier im EU-Vergleich weit oben liegt und großteils den Faktor Arbeit belastet, ergebe sich aus der aktuellen Höhe ein Wettbewerbsnachteil.
Die Abgabenquote zu reduzieren, ist dementsprechend nicht sehr umstritten. Kaum eine Partei, die sich nicht für weniger Steuern einsetzt. Warum schafft es Österreich dann nicht? „Es ist recht simpel“, sagt Simon Loretz, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut, „die Abgaben benötigen wir für unsere Ausgaben. Senkt man die Steuern, stellt sich die Frage, welche Staatsausgaben man nicht mehr braucht.“ Die Frage ist derart kontrovers, dass sie seit Jahren weitgehend unbeantwortet blieb. „Unsere Ausgabenquote ist noch höher, darum haben wir ein Defizit“, sagt Loretz. Auch die Ökonomin Köppl-Turyna vermisst eine Antwort darauf, welche Ausgaben gesenkt, welche Leistung gestrichen werden soll. Außer Zweifel steht für sie, dass die ohnehin hohen Staatsschulden nicht noch weiter erhöht werden dürfen.
Probleme bei Lohnnebenkosten liegen im Detail
Dem ÖVP-Projekt, die erste Steuerstufe von derzeit 20 auf 15 Prozent zu senken, steht Köppl-Turyna ambivalent gegenüber. Einerseits sei dies ein Anreiz für Niedrigqualifizierte, in den Arbeitsmarkt einzusteigen, weil ihnen netto mehr vom Brutto bleibe. Andererseits steige dadurch die Progressivität im Steuersystem steil an, wenn bereits ab einem Jahresgehalt von 20.900 Euro dann 30 Prozent Lohnsteuer fällig werden. Der Anreiz, von Teilzeit auf Vollzeit umzusteigen, werde dadurch noch geringer.
Die Reduktion der in Österreich vergleichsweise hohen Lohnnebenkosten ist, sieht man vom ÖGB ab, ebenfalls wenig strittig. SPÖ-Kanzler Christian Kern wollte sie 2017, bei seiner großen Rede in Wels („Plan A“), gleich um drei Milliarden Euro senken. In jüngerer Vergangenheit wurden zwar auch „ein paar kleine Schritte gemacht“, wie der Wifo-Forscher sagt, das Ausgangsniveau sei aber eben hoch. Warum hier keine größere Reform gelang, ist ähnlich gelagert wie bei der Abgabenquote. Deshalb hat Arbeitsminister und Ökonom Martin Kocher unlängst den Vorschlag gemacht, einen Senkungspfad zu beschließen, der die Politik regelmäßig verpflichtet, sich über die Art der Reduktion zu einigen.
Bei den Lohnnebenkosten müsse man, so Köppl-Turyna, zwei Kategorien unterscheiden. Der eine Teil dient zur Finanzierung von Versicherungsleistungen, etwa die Unfall- und die Arbeitslosenversicherung, hier kann sie die Argumentation der Gewerkschaften nachvollziehen, weil es um Leistungen für die Arbeitnehmer gehe. Wolle man deshalb an diesem Punkt ansetzen, müsse man sich bestehende Ineffizienzen etwa im Gesundheitssystem anschauen, wo immer noch zu wenig in Vorsorge investiert werde und es falsche Anreize bei der Abrechnung gebe. Oder aber man gehe endlich den großen Brocken des Pensionssystems an.
Die zweite Kategorie der Lohnnebenkosten umfasst Geldflüsse, die allen zugutekommen, allen voran der Familienlastenausgleichsfonds, kurz FLAF, sowie die Kommunalsteuer. Beide zusammen machen beachtliche 6,7 Prozentpunkte aus. Hier plädiert auch Köppl-Turyna für eine alternative Finanzierung, weil die Leistungen nicht allein den Zahlenden zugutekommen. Die ÖVP will etwa den FLAF ins reguläre Budget zu transferieren. Das würde allerdings wieder die Abgabenquote erhöhen, da der FLAF mit zuletzt sieben Milliarden Euro dotiert war. Oder natürlich: Die nötige Summe wird an anderer Stelle eingespart.
Erneuter Fokus auf Überstunden
Österreich hat im EU-Vergleich stets mehr auf monetäre Familienleistungen gesetzt, weniger auf Sachleistungen. Das habe sich aber zuletzt geändert, da die Kindergärten massiv ausgebaut wurden und die Betreuungsquoten deutlich gestiegen sind. „Man könnte natürlich jetzt darüber sprechen, ob man daher die monetären Leistungen wieder zurückfährt“, sagt Loretz. In einem Wahljahr hält er dies aber nicht für realistisch. Was auch in Fachkreisen diskutiert wird: Wer davon profitiert, wenn die Dienstgeber weniger Abgaben leisten müssen. Steigen dann die Löhne um genau diesen Anteil oder die Gewinne? „Es wird wohl geteilt werden“, sagt Loretz, „nicht alles wird bei den Haushalten landen“.
Eine weitere Begünstigung von Überstunden trat erst heuer in Kraft, die ÖVP will nun aber noch weiter gehen und Überstunden gänzlich steuerlich befreien. Das könnte langfristig auch negative Auswirkungen haben, gibt Ulrike Huemer, Arbeitsexpertin am Wifo, zu bedenken: Österreich ist nicht nur ein Land mit vielen Überstunden – laut AK Oberösterreich waren es 2022 192,5 Millionen – sondern auch mit einem frühen Pensionsantrittsalter und vergleichsweise wenigen gesunden Lebensjahren. Der steuerliche Anreiz begünstige nur Vollzeitbeschäftigte, daher weniger Frauen. Huemer sieht auch einen Widerspruch zur Progressivität im Steuersystem: „Die letzte Stunde der regulären Arbeitszeit ist am höchsten besteuert. Wer noch länger arbeitet, ist für den Mehrverdienst dann aber steuerbefreit.“
Für Köppl-Turyna dagegen überwiegen die Vorteile, weil es eben die Anreize für Vollzeit erhöhe, was aus ihrer Sicht vor dem Hintergrund des Älterwerdens unbedingt notwendig sei.