Der Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat zur Zunahme antisemitischer Vorfälle geführt und auch vereinzelt Aktionen an Unis in den Fokus geraten lassen. Im Rahmen ihres Anfang 2023 gegründeten Forschungsschwerpunktes „Antisemitismus der Gegenwart“ will die Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nun die Diskursfähigkeit an den Unis näher untersuchen, wie ÖAW-Präsident Heinz Faßmann und Historiker Gerald Lamprecht vor Journalisten am Mittwoch bekannt gaben.
Projektleiter Lamprecht, der auch zugleich als neuer Leiter des ÖAW-Forschungsschwerpunktes und damit als Nachfolger der im Vorjahr verstorbenen Zeithistorikerin Heidemarie Uhl vorgestellt wurde, wird dabei als ersten Schritt gegenwärtige antisemitische Vorfälle an den Unis in den Blick nehmen. Anlass bieten etwa „Schmieraktionen an Unis“, wie sie vereinzelt vorkamen, aber zum Beispiel auch die Pro-Palästina-Kundgebung an der Universität für angewandte Kunst Wien im Dezember, bei der laut einem von der Jüdischen Österreichischen Hochschülerschaft veröffentlichten Video u. a. bestritten wurde, dass die Hamas am 7. Oktober Israel angegriffen hat. Die filmende Person wurde bei der Veranstaltung des Ortes verwiesen.
Diskurs an Uni Graz weniger stark ausgeprägt
Den Hamas-Angriff bezeichnete Faßmann als einen „erheblichen Einschnitt“ für Israel, aber er habe auch Auswirkungen weit darüber hinaus und damit für Österreich. Neben dem rechten, völkisch inspirierten Antisemitismus „bis in die Mitte“ der Gesellschaft und dem „importierten Antisemitismus“, der sich laut Studien vor allem auf die Zuwanderung von arabisch- und türkischstämmigen Migranten beziehen lässt, gebe es auch neue Formen des Antisemitismus wie jener, der „mit der Kritik an Israel verbunden ist“ und „die Gräueltaten der Hamas“ mitunter herunterspielt bis leugnet.
„Nie wieder ist jetzt“, sagte der ÖAW-Chef und bezog sich darauf, dass es nie wieder so sein dürfe, dass sich jüdische Studierende an Unis nicht sicher fühlen. Mit dem neu lancierten Projekt wolle man Klarheit schaffen, schauen, ob es sich um Einzelfälle oder mehrere Vorfälle handelt, so Faßmann, sowie „was vorgefallen ist, erheben“, so Lamprecht: „Wir wollen auch die Diskurse an den Unis beschreiben und in einen größeren Zusammenhang stellen.“ Dabei zeichne sich an den Unis schon jetzt kein einheitliches Bild ab, ein entsprechender Diskurs sei etwa an der Uni Graz oder auch an der Uni Salzburg weniger wahrnehmbar.
Auch Antisemitismus in Onlineforen untersucht
In einem weiteren, bereits laufenden Projekt untersucht ÖAW-Kulturwissenschaftlerin Ariane Sadjed, wie online (etwa über Onlineforen von Tageszeitungen) und in sozialen Medien (primär X, ehemals Twitter) über Antisemitismus gesprochen wird und wie dies von jüdischen Gemeinden wahrgenommen wird. Dabei habe sich bereits gezeigt, dass es unter den Betroffenen sehr unterschiedliche Wahrnehmungen gibt, also manche es gut finden, dass sich die Politik um klare Positionierung bemüht, wobei andere dies eher als heuchlerisch einstufen. Zudem habe sich eine Tendenz offenbart, dass über antisemitische Postings und verdachtsweise wohl auch bewusst positionierte „Hatespeech“-Beiträge in Online-Foren Antisemitismus genutzt und instrumentalisiert werde, eigentlich gegen Flüchtlinge und Migranten zu schreiben und diese als „die Bösen“ darzustellen, wie Sadjed erläuterte. Die Forscherin hielt fest, dass es – wohl auch gerade für junge Menschen – an Raum fehle, „sich zu besprechen“ und „Orientierung zu finden“. Es brauche auch gewisse Expertise, wie sich Jugendliche abholen lassen.
„Einen Diskursraum zu schaffen“ sieht Faßmann auch als Aufgabe der ÖAW, auch die Unis müssten die Diskursfähigkeit behalten. Auch Lamprecht sprach sich für „Räume an den Unis für den geschützten Diskurs“ aus. Mit den wissenschaftlichen Beiträgen, die nun erarbeitet werden sollen, „werden wir nicht den Nahostkonflikt lösen“, sagten die Experten, aber man werde untersuchen, wie er sich auf die Gesellschaft auswirkt, und versuchen, Lösungsansätze anzubieten.
Konkrete Messung von Antisemitismus schwierig
Als eine Herausforderung dabei gestaltet sich auch, Antisemitismus konkret zu messen. Faßmann verwies auf die IFES-Studie, die – nach 2018 und 2020 – auch für 2022 Antisemitismus in Österreich erhob, für ihn „gute Qualität und eine gute Stichprobe“ habe und damit auch Orientierung böte. Man hofft auf einen weiteren IFES-Report im kommenden Jahr. Lamprecht erwähnte die Antisemitismus-Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien als eine weitere Quelle, die einen Anstieg antisemitischer Fälle dokumentiert habe.
Die Neubesetzung des im Jänner 2023 gegründeten ÖAW-Schwerpunktes zu „Antisemitismus in der Gegenwart“, der sich laut Lamprecht dem bisher in Österreich „etwas unterbelichteten“ Nachkriegsantisemitismus widmen wird, war notwendig geworden, da Vorgängerin Heidemarie Uhl im August 2023 verstorben war. Sie sei „viel zu früh gegangen“, würdigte Faßmann die renommierte Historikerin. Mit der Übernahme der Funktion durch Historiker Lamprecht von der Universität Graz, der auch für die Steiermark „Erinnern:AT“, das Lern- und Lehrprogramm über Nationalsozialismus und Holocaust, koordiniert, würden erste Ideen von Uhl fortgesetzt und es würde auch die Antisemitismusforschung weiter befördert. Am Mittwochabend wird im Rahmen einer Buchpräsentation von „ErinnerungsOrte weiter denken - In memoriam Heidemarie Uhl“ des Schaffens Uhls gedacht.