Obwohl das Vertrauen in das politische System zuletzt wieder stieg, bleibt die aktuelle Bundesregierung bestehend aus ÖVP und Grüne weiter die unbeliebteste, die es jemals gab. Für Politologe Peter Filzmaier hängt das vor allem mit den vergangenen Krisenjahren zusammen. Gewisse Maßnahmen und Entscheidungen in Sachen Hilfsleistungen für die Ukraine und Israel, die hohe Inflation und der Umgang mit Corona haben die Regierung einiges an Kredit verspielen lassen.
Die ökonomische Unverhältnismäßigkeit lässt Filzmaier zwar an keinen Bruch der Gesellschaft in Österreich glauben, eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich sei aber durchaus zu erwarten. Durch die wirtschaftlichen Entwicklungen sei die Unzufriedenheit im Land immer weiter gestiegen, weshalb es anderen Parteien gelinge, diese nicht zu unterschätzende Gruppe an potenziellen Wählern zu mobilisieren.
FPÖ klar im Aufwind
Die FPÖ erlebt derzeit einen beeindruckenden Aufschwung. Konstante Umfragewerte von 30 Prozent unterstreichen ihre Stabilität, und ihre jüngsten Erfolge mit den Einzügen in die Landesregierungen in Salzburg und Oberösterreich bekräftigen dies. Dennoch hält sich Filzmaier mit vorzeitigen Gratulationen zurück: „Ein Viertel der Wähler entscheidet sich erst in den letzten Wochen, etwa zehn Prozent sogar nur drei Tage vor der Wahl“, begründet er seine Vorsicht. Man wisse außerdem noch nicht, ob beispielsweise Othmar Karas mit einer eigenen Partei oder die Bierpartei bei der Nationalratswahl antreten. Dies würde aber eher ÖVP und SPÖ Stimmen kosten und Kickl könne sich in dieser Hinsicht zurücklehnen.
Filzmaier identifiziert jedoch ein Hindernis: die mangelnde Bereitschaft anderer Parteien, mit der FPÖ, insbesondere mit Kickl, zu koalieren. Die FPÖ müsse einen fulminanten Wahlerfolg mit bis zu 30 Prozent einfahren, um Druck auf Bundespräsident Alexander Van der Bellen auszuüben. Diesem würde bei einer derartigen Bestätigung des Volks keine andere Wahl bleiben, als eine Regierungsbeteiligung der FPÖ zu akzeptieren. Dieses Szenario wurde bereits in Salzburg und Oberösterreich beobachtet, wo die stimmenstärksten Parteien eine Zusammenarbeit mit der Freiheitlichen Partei im Vorfeld kategorisch ausschlossen.
Imageprobleme bei Nehammer
Bundeskanzler Karl Nehammer sieht Filzmaier auf einem Scheideweg. Nicht nur das Burger-Video, das ihn eher wie einen McDonald’s-Angestellten als ein Staatsoberhaupt hingestellt habe, sondern auch seine fehlenden Distanzierungen vom viel kritisierten Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka und dem ehemaligen Kanzler Sebastian Kurz würden ihn belasten.
Die ÖVP habe wirtschaftlich mit den Abschaffungen der kalten Progression und des Amtsgeheimnisses zwar durchaus achtbare Erfolge erzielt, allerdings basieren Wählerentscheidungen häufig auf emotionalen und nicht wirtschaftlichen Bedingungen. Das Gefühl, sich immer weniger leisten zu können, sozial immer weiter abzusteigen und die eigenen Kinder nicht ernähren zu können, seien immer schlechte Nachrichten für den Amtsinhaber.
Babler muss mehr Wählerwanderungen auslösen
Die SPÖ habe mit Andreas Babler einen neuen Spitzenkandidaten, der die linke Flanke mit seiner ideologischen Überzeugung dichtgemacht und stabilisiert habe. Auch die Beziehung mit Wien sei wieder auf einer Wellenlänge. Auch wenn Bürgermeister Michael Ludwig vermutlich Pamela Rendi-Wagner lieber gehabt hätte, mit Hans Peter Doskozil sei eine Zusammenarbeit erheblich schwieriger geworden als jetzt mit Babler.
Babler sei es jedoch noch nicht gelungen, andere Wählerwanderungen auszulösen: „Die FPÖ hat stabile Umfragewerte, die ÖVP wird deutlich verlieren und trotzdem siedeln ihre Wähler nicht zur SPÖ über“, sagt Filzmaier zu den Wählerströmungen. Außerdem machte er auf die weiterhin bestehenden Wähler der impfkritischen MFG-Partei aufmerksam. Von ihnen seien alle zur FPÖ abgewandert. Babler sei noch kein passendes Angebot für diese Gruppen eingefallen. Auch Nichtwähler konnte er noch nicht genügend mobilisieren. Allerdings seien diese sogenannte verfestigte Nichtwähler, die ohnehin seit Jahren nicht mehr in die Wahlkabine gehen.
Herausforderungen und Voraussetzungen für Dreierkoalition
Die Wahrscheinlichkeit einer erstmaligen Dreierkoalition bestehend aus ÖVP, SPÖ und Neos hält Filzmaier nur dann für wahrscheinlich, wenn die beteiligten Parteien so weit vorarbeiten, dass Grundsteine wie die Überwindung der Gegensätze, eine Auflistung von Ministerpositionen und eine Aufweichung der aktuell markanten Differenzen bei Wirtschaftsthemen gelegt werden. „SPÖ und ÖVP verhalten sich aber immer noch wie Erzfeinde und vernachlässigen dabei völlig den Gegner FPÖ“, sagt Filzmaier über die Hürden einer möglichen Dreierkonstellation.