Wolfgang Sobotka will „ausgeliefert“ werden. Die Wirtschafts- und Korruptionsanwaltschaft (WKStA) hat im Hohen Haus um eine Aufhebung der Immunität des Nationalratspräsidenten (ÖVP) angesucht, um in einer Steuer-Causa ermitteln zu können. Schon im Vorjahr hatte der frühere Öbag-Chef Thomas Schmid Sobotka vorgeworfen, er habe vor einigen Jahren bei einer Steuerprüfung bei der Erwin-Pröll-Stiftung interveniert. Der Nationalratspräsident betont seine Unschuld und will daher auch selbst Ermittlungen ermöglichen.

Aber warum braucht die Staatsanwaltschaft erst die Zustimmung des Parlaments, um den Vorwürfen nachgehen zu können? Wie für alle Abgeordneten gilt für den Nationalratspräsidenten eine berufliche und eine außerberufliche Immunität. Die berufliche Immunität sieht vor, dass Abgeordnete niemals für ihr Abstimmungsverhalten im Parlament oder Landtag verantwortlich gemacht werden dürfen. Dasselbe gilt für Äußerungen, die im direkten Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Abgeordnete getätigt werden.

Ausnahmen bei Verleumdung und Geheimnisverrats

Beleidigt etwa ein Nationalratsabgeordneter während seiner Rede im Plenum oder bei einer Ausschusssitzung eine andere Person, darf nur der Nationalrat selbst einschreiten, beispielsweise durch einen Ordnungsruf. Ausnahmen gibt es lediglich bei Verleumdung und Geheimnisverrats, also der Herausgabe von als geheim oder streng geheim eingestufte Informationen. Auf Äußerungen in einem anderen Kontext – etwa auf einer Parteiveranstaltung oder während einer Pressekonferenz – trifft diese Regelung nicht zu.

Für Sobotka relevant ist die außerberufliche Immunität. Wie das Parlament auf seiner Website erklärt, können Behörden nur gegen einen Abgeordneten ermitteln, wenn der Nationalrat seine Zustimmung erteilt. Voraussetzung ist, dass es bei der strafbaren Handlung, die dem Mandatar vorgeworfen wird, ein Zusammenhang zu dessen politischer Tätigkeit besteht. Gibt es keinen Zusammenhang – das Parlament nennt als Beispiel ein Verkehrsdelikt – ist keine Aufhebung der Immunität nötig, die Behörden können also ohne Zustimmung des Nationalrats aktiv werden.

Parlamentarier vor willkürlicher Verfolgung schützen

Ziel dieses besonderen Schutzes ist es, eine willkürliche oder politisch motivierte Verfolgung der Abgeordneten zu verhindern. Im Extremfall könnte ansonsten eine Bundesregierung beispielsweise eine Vielzahl von Mandataren verhaften lassen und so das Parlament handlungsunfähig machen. Denselben Schutz wie Nationalratsabgeordnete genießen übrigens auch Bundesräte und Landtagsabgeordnete.

Beantragt eine Behörde die Auslieferung eines Abgeordneten, wird zunächst in einem Immunitätsausschuss darüber beraten, bevor im Plenum über die Aufhebung der Immunität abgestimmt wird. Dass Abgeordnete ihren Schutz verlieren, sodass gegen sie ermittelt werden darf, ist keine Seltenheit. Im Vorjahr wurde etwa auf Ersuchen des Magistrats der Stadt Wien die Immunität von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl aufgehoben, es ging damals um Verwaltungsübertretungen gegen das Covid-19-Maßnahmengesetz. Einstimmig ausgeliefert wurde auch ÖVP-Klubchef August Wöginger, um Ermittlungen der WKStA wegen des Verdachts auf Anstiftung zum Amtsmissbrauch zu ermöglichen.