Zwei Hürden hat die Gesundheitsreform noch zu nehmen. Am Mittwoch ist der Beschluss im Nationalrat vorgesehen, vier Tage vor Weihnachten jener im Bundesrat. Mit einer Resolution hat die Ärztekammer in der Vorwoche noch versucht, Änderungen zu erwirken – bisher erfolglos. Im Zentrum ihrer Kritik steht ihre Entmachtung bei der Gründung von niedergelassenen Ambulatorien. Die Kammer ortet die Gefahr einer Kommerzialisierung der haus- und fachärztlichen Versorgung und warnt vor „Konzernmedizin“.
Zwei Argumente führt die Kammer an. Erstens darf sie gemäß Reform kein Veto mehr gegen Ambulatorien einlegen, bei Primärversorgungszentren hatte sie die Einspruchsmöglichkeit bereits im August verloren. Sie kann sich also nicht mehr wehren, sollte ein Konzern in Österreich ein großes Ärztezentrum eröffnen wollen. Das zweite Argument ist der Verweis auf Länder wie Schweden, Deutschland und die Schweiz, wo privates Kapital bereits Ordinationen als Renditemöglichkeit entdeckt hat.
Gesamtvertrag als Trumpf in der Hand
Der Gesundheitsökonom Ernest Pichlbauer sieht diese Sorge dennoch als unberechtigt. Einerseits habe die Ärztekammer nach wie vor den Trumpf des Gesamtvertrages mit der Sozialversicherung in der Hand. Steige sie aus diesem aus, müsste die Kasse mit jedem Arzt direkt verhandeln. Das ist zwar für die Ärzte auch unendlich mühsam. „Aber es würde das gesamte System der Pflichtversicherung zusammenbrechen“, sagt Pichlbauer. Der Markt müsse dann wohl auch für private Versicherer geöffnet werden. Das will weder die Politik noch die Sozialversicherung.
Auf der anderen Seite glaubt der Gesundheitsökonom auch nicht, dass das österreichische System lukrativ genug für private Investoren ist. Anders als in Deutschland und der Schweiz sind hierzulande Kassenstellen Voraussetzung (außer bei Wahlarzt-Zentren), um am öffentlichen System partizipieren zu können. Und diese Stellen sind begrenzt. „Es gibt keine Skalierungseffekte“, sagt Pichlbauer. „Es wird also nicht passieren.“
ÖGK will einheitliche Leistungen bis Sommer 2024 verhandeln
Aus der ÖGK heißt es, dass wegen der Kritik der Kammer die Priorisierung von (Gruppen-)Praxen in den Gesetzesentwurf geschrieben wurde. Ohne Veto-Option der Kammer hofft man bei der ÖGK, offene Stellen schneller besetzen zu können, weil eben andere Formen, die von jungen Ärzten stärker nachgefragt werden als die Einzelpraxis, schneller geschaffen werden können. Notfalls eben auch als Ambulatorium, wobei die Kasse selbst dann gerne Betreiber wäre. „Man sollte schon dieses Vertrauen in die Sozialversicherung haben, dass wir uns gut aussuchen, mit wem wir Verträge abschließen“, heißt es aus der ÖGK.
Bis zum Sommer will die Gesundheitskasse ÖGK einen einheitlichen Vertrag verhandeln (statt wie derzeit mit jeder Landeskammer). Das Thema Ambulatorien wird da wohl auch eine Rolle spielen. Ein für die ÖGK wichtiges Druckmittel in diesen Verhandlungen ist ihr aber in den finalen Reformgesprächen abhandengekommen. Es wurde die heikle Passage gestrichen, dass ein neuer, harmonisierter Gesamtvertrag bis 2025 stehen muss, andernfalls würden die Honorare für die Ärzte nicht mehr valorisiert. Das hätte die Verhandlungsposition deutlich zugunsten der ÖGK verschoben.