In der Vorwoche meldete die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) rund 300.000 Krankenstände. Das heißt, einer von dreizehn unselbständig Beschäftigten war zumindest einen Tag lang nicht arbeitsfähig. Das aktuell hohe Infektionsgeschehen ist nicht der einzige Grund dafür, aber doch ein wesentlicher. Denn mehr als ein Drittel war wegen grippaler Infekte oder Covid-19 krankgemeldet.
Der Vergleich zum Vorjahr zeigt ein ähnliches Bild: Die Saison der Atemwegserkrankungen beginnt durch Covid-19 früher, zudem verursacht das Coronavirus aufgrund seiner Ansteckungskraft höhere und häufigere Wellen als andere Erreger. Bis Ende Oktober hat die ÖGK bereits 4,8 Millionen Krankmeldungen registriert. Das heißt, dass allein in zehn Monaten mehr Krankenstände auftraten als in den gesamten Jahren vor der Pandemie. Im Vorjahr waren es rund 5,7 Millionen Fälle – ein absoluter Rekord. Doch er könnte heuer gebrochen werden.
Wie aus den Daten des Abwassermonitorings hervorgeht, dürfte Österreich gegenwärtig auch die höchste Corona-Welle überhaupt erleben. Zumindest ist die gemessene Viruslast im Abwasser auf einem bisher noch nicht erreichten Wert. Die gesamtheitlichen Folgen sind jedoch andere. Die Zahl schwerer Covid-Erkrankungen ist bedeutend niedriger als in früheren Jahren. In Österreichs Spitälern werden derzeit rund 1500 Personen mit Atemwegserkrankungen behandelt, etwa die Hälfte davon mit Covid-19. Zum Vergleich: In der Hochphase der Pandemie lagen mehr als 4000 Personen im Spital und selbst im Vorjahr waren es in der Herbstwelle noch einmal rund 2000.
Doch selbst wenn es in der Gesamtheit weniger schwere Fälle gebe, sollte man die Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen, sagt die Epidemiologin Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien. Covid-19 ist nicht nur eine Atemwegserkrankung. So steht etwa das Coronavirus auch im Verdacht, Schädigungen im Herz-Kreislauf-System verursachen zu können. Das sei, so Schernhammer, zwar auch von anderen Erregern bekannt, aber es zeige sich, „ähnlich wie bei Long-Covid, dass diese Phänomene bisher im Hintergrund verschwunden sind“. Die hohe Anzahl der Corona-Infektionen hat das Bewusstsein für postvirale Erkrankungen geschärft.
„Wir sollten schon ein bisschen vorsichtiger damit umgehen“, rät Schernhammer, die in Akutphasen einer Infektionswelle wieder die verstärkte Nutzung von Homeoffice, wo möglich, empfiehlt. Ebenso das Verwenden der Masken in dicht gedrängten Innenräumen. Es sei bewiesen, dass das Risiko einer Ansteckung damit reduziert werden könne. „Aber ich bin weit entfernt von etwaigen Pflichten“, so Schernhammer. Auch Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) hat bereits zur Maske geraten, speziell dort, wo „viele ältere oder kranke Menschen zusammenkommen, wie zum Beispiel in Spitälern, Pflegeheimen oder Arztpraxen“. Eine Verpflichtung will er nicht wieder einführen.
Wann Wellen enden
Wellen wie derzeit enden, wenn in der Bevölkerung wieder ausreichend Immunität besteht, erklärt die Medizinerin. „Es muss eine gewisse Gesamtmenge erreicht werden, damit die Welle ein Enden finden kann“, sagt Schernhammer. Begünstigt wird der gegenwärtig hohe Ausschlag vermutlich auch dadurch, dass heuer eine große Sommerwelle ausgeblieben ist, anders als 2022. Zudem verbreitet sich in ganz Europa eine neue Variante („Pirola“), die bestehender Immunität offenbar besser entkommen kann.
Das während der Pandemie beabsichtigte Abflachen der Kurve durch diverse behördliche Maßnahmen („flatten the curve“) sei immer dann nötig, wenn „Systemgrenzen eingehalten werden müssen“, erklärt Schernhammer mit Verweis auf die während der Pandemie stark belasteten Spitäler. „Auch wenn die Welle dann länger andauert, ist es in diesen Situationen sinnvoll.“ Bisher war zu beobachten, dass zwischen den Covid-Wellen weniger Zeit vergeht als bei der Grippe, die im Sommer weitergehend verschwindet. „Die erworbene Immunität gegen Covid-19 ist leider nicht von anhaltender Dauer“, so Schernhammer. Daher wird auch in Zukunft mit immer wiederkehrenden Wellen zu rechnen sein.