An Wolfgang Sobotka scheiden sich keine Geister. Floskeln wie diese scheitern kläglich, diesem Reibebaum der Republik auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Der Mostviertler polarisiert und emotionalisiert wie seit Sebastian Kurz wohl kein anderer heimischer Politiker – mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, dass dem ehemaligen türkisen Hoffnungsträger nicht nur entschiedene Ablehnung entgegenschlug, sondern auch sehr viel Zuneigung.
Dem 67-jährigen Niederösterreicher aus Waidhofen an der Ybbs fliegen keine Herzen zu. Jedenfalls nicht in seiner Rolle als öffentliche Person und nicht einmal in seiner eigenen Partei. Für seine zahlreichen Kritiker ist Sobotka die lebendige Verkörperung all jener Verfehlungen, die der türkisen Volkspartei in Bausch und Bogen vorgeworfen werden – und die der machtbewussten niederösterreichischen VP gleich mit dazu. In den eigenen Reihen wird er respektiert, vor allem für sein strategisches Denken und die Härte, mit der er äußerem Druck standhält, einige werden ihn auch fürchten.
Sein Standpunkt zählt
Die aktuelle Aufregung um eine heimlich aufgenommene Tonaufnahme, in welcher der verstorbene Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek Sobotka vorwirft, ihn zu unzulässigen Verfahrenseinstellungen gedrängt zu haben, passt in dieses Bild wie die Faust aufs Auge. Es passt zur Person, dass er im Sturm der Kritik die Vorwürfe kategorisch zurückweist und auf seinem Standpunkt beharrt.
Eines, und keineswegs das geringste Problem ist dabei: Dieses Übermaß an Kritik, die gar nicht so selten in offene Verachtung ausartet, passt schlecht zum Amt, das Sobotka derzeit ausübt: Als Nationalratspräsident ist er protokollarisch der zweite Mann im Staat, über ihm steht nur der Bundespräsident. Da wäre eigentlich ein innenpolitischer Brückenbauer gefragt, ein Moderator, der über dem ständigen Hickhack der Parteien steht. Doch Sobotka ist zur Symbolfigur der darniederliegenden politischen Kultur der Republik geworden.
An seinem Image ist Sobotka nicht unschuldig – und die Opposition sagt artig „Danke“. Einen Gegner wie ihn zu haben, kann auch ein Glück sein. Ehrgeizig und machtbewusst hat er als Innenminister einen Teil der Schmutzarbeit beim Aufstieg des jungen Kurz vom Staatssekretär zum Kanzler erledigt, indem er als Sand im Getriebe der damaligen Regierungsspitze von Christian Kern und Reinhold Mitterlehner agierte. Zuvor war er auch als Landesrat in St. Pölten kein politischer Sympathieträger, weshalb er im Rennen um die Nachfolge Erwin Prölls als Landeshauptmann gegen Johanna Mikl-Leitner den Kürzeren zog.
Ehrlich engagiert gegen Antisemitismus
Sobotka auf die Rolle des innenpolitischen Bulldozers zu reduzieren, wird dessen Persönlichkeit allerdings nicht gerecht. Er ist diskussions- und konfliktfähig. Im heutigen Politikbetrieb, wo einstudierte und abgetestete Floskeln dominieren, ist beides selten geworden. Sein intensives Engagement gegen Antisemitismus ist ehrlich und von der eigenen Familiengeschichte geprägt. Vor allem ist er keiner, der dabei nur auf die zugewanderte Judenfeindlichkeit muslimischer Migranten zeigt, sondern auch die dunklen Traditionen im katholischen Österreich offen anspricht.
Dann steckt da ein leidenschaftlicher Musiker im umkämpften Nationalratspräsidenten. Sobotka studierte nicht nur Geschichte an der Universität Wien, sondern auch Violoncello und Musikpädagogik in Wien sowie Dirigieren am Brucknerkonservatorium in Linz. So gesehen, versteht es sich von selbst, dass er bis heute Dirigent des Waidhofener Kammerorchesters ist.
Viel Leben in einer Person
Schließlich existiert hinter der öffentlichen Person auch noch der Privat- und Familienmensch Wolfgang Sobotka. Aus einer ersten Ehe hat er vier Kinder, seine Frau starb 1999. Mit seiner zweiten Ehefrau hat der leidenschaftliche Gärtner vier weitere Kinder, zwei von ihnen hat seine Frau in die Ehe mitgebracht. Ein Kind ist auf einen Rollstuhl angewiesen.
Das ist viel Leben in einer einzigen Person. Die Politik in all ihrer Härte hat dafür kein Auge. Sobotka wäre wohl der Letzte, der sich darüber öffentlich beklagen würde. Das wäre ein Zeichen von Schwäche. Damit kann er, jedenfalls als Politiker, nichts anfangen. Was und wie seine Partei darüber denkt, wird er spätestens erfahren, wenn es darum geht, ob nach den nächsten Wahlen noch eine Rolle für ihn vorgesehen ist. Wenn er es nicht vorher für sich selbst entscheidet.