Europa ist Spitzenreiter, allerdings im negativen Sinn. Laut einer Studie des World Economic Forum vom September 2023 liegt Europa bei der Erwartung in Sachen hoher Inflation und schwacher Konjunktur mit 77 respektive 71 Prozent einsam an der Spitze (siehe Grafik). Allein das chronisch marode Süd- und Lateinamerika kommt diesem Minuswert annähernd nahe. In Nordamerika erwarten 18 Prozent eine schwache Konjunktur, bei der Inflation liegt der Wert mit 47 Prozent um ein Drittel niedriger. Die übrigen Wirtschaftsregionen liegen teils dramatisch besser als Europa. Dazu passt, dass Österreich und Deutschland in Sachen Wettbewerbsfähigkeit aus den Top 20 des internationalen IMD-Rankings geflogen sind.

Bei Harald Mahrer, dem Präsidenten der österreichischen Wirtschaftskammer, lässt dies die Alarmglocken schrillen: „Wenn ich sechs von zehn Euro im Ausland erwirtschafte, dann muss ich mich dafür interessieren, was dort vor sich geht. Wir betreiben in Europa nur Nabelschau, sind aber überzeugt, die Weisheit mit Löffeln gegessen zu haben.“

Mahrer warnt vor einem „großen Giftcocktail“: Als dessen Zutaten nennt er die dauerhaft höheren Energiekosten, die demografische Entwicklung – bis 2040 wird die Zahl der über 65-Jährigen in Österreich um 750.000 Menschen steigen – sowie die Folgen der Technologisierung.

Subventionen als ökonomischer Holzweg

Tatsächlich hängt fast alles, was Österreichs und Europas Wohlstand ausmacht, an einem halbwegs leistbaren Energiepreis. Mahrer fordert deshalb für die kommenden Monate eine intensive Debatte in Europa und Österreich darüber, wie die Energiekosten nachhaltig gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit abgesichert werden könne. „Und ich sage in großer Offenheit, dass dies langfristig nicht mit Subventionen erreicht werden kann, schlicht weil ich diese für eine wirtschaftlich dumme Lösung halte.“

Stattdessen will Mahrer einmal mehr bei der Merit-Order ansetzen, also an jenem System der Preisfindung, wo das letzte und teuerste Kraftwerk den Gesamtpreis bestimmt. Schon im April 2022, am Höhepunkt der Energiepreiskrise, hatten die Sozialpartner ein neues Modell gefordert, wurden aber nicht gehört. „Anschließend hat sich der hohe Energiepreis inflationstechnisch durch die gesamte Volkswirtschaft gefressen, um dann subventioniert zu werden. Am Ende haben sich alle über die hohe Inflation gewundert. Volkswirtschaftlich war das völlig verfehlt. Diese Kritik müssen sich Teile der Regierung und die EU gefallen lassen“, so Mahrer.

Der Ausstieg aus den fossilen Energien sei nicht so schnell machbar, wie es manche glauben. Zudem müsse, wenn kein russisches Gas mehr bezogen werden solle, für die nötige Infrastruktur bei Pipelines und Leitungen gesorgt werden für den Transport von Gas aus anderen Quellen und von Sonnen- oder Windstrom aus Südeuropa. Doch auch hier ließen mutige Entscheidungen auf sich warten.

Die laufende Debatte, die darum kreise, wer wie viele Stunden weniger arbeiten und wer noch welche Sozialleistungen bekommen soll, nennt Mahrer fahrlässig. „Wir werden künftig nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen, wollen wir unseren Wohlstand aufrechterhalten.“ Aber Mahrer gibt auch zu, dass diese Probleme nicht gelöst werden, wenn die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose verschärft werden. Es bedürfe größerer Schritte: Menschen etwa, die das Regelpensionsalter erreicht haben, sollten nur noch Unfallversicherung bezahlen müssen. Wer in diesem Alter noch arbeiten wolle, der soll das, was er verdiene, „brutto für netto“ bekommen, nur die Pensionsversicherung für die Arbeitnehmer zu streichen, sei nur ein erster Schritt.

Harald Mahrer | Künftig mehr arbeiten, nicht weniger: Harald Mahrer
Harald Mahrer
| Künftig mehr arbeiten, nicht weniger: Harald Mahrer © Akos Burg