Fast sechs Wochen ist es jetzt her, dass der Verfassungsgerichtshof (VfGH) die Zusammensetzung der wichtigsten ORF-Gremien für teilweise verfassungswidrig erklärt hat. Nun nimmt das Ringen um die Reform von Stiftungs- und Publikumsrat Fahrt auf, obwohl noch offen ist, ob ÖVP und Grüne das Thema selbst angehen. Die vom Höchstgericht festgelegte Frist läuft bis März 2025, die nächsten Wahlen werden wohl Ende September 2024 stattfinden.
Am Mittwoch hat der Redaktionsrat des ORF in einer Resolution die Forderung nach einer Entpolitisierung der ORF-Gremien wiederholt. Ob er damit Gehör findet, muss bezweifelt werden, schließlich pochte schon das Rundfunkvolksbegehren 1964 auf die Befreiung des ORF aus den Händen der Parteien. Bis heute unerhört.
Daran wird sich wohl auch dieses Mal nichts ändern. Zumal der Verfassungsgerichtshof den ORF-Gremien nicht die Legitimation – und damit ihren Entsendern, also Parteien, Regierung und Ländern – abgesprochen hat, sondern nur verlangt, dass deren Zusammensetzung nicht zugunsten einer Partei verzerrt sein dürfe. Dem aktuellen Gesetz sei Dank, verfügt die ÖVP über eine absolute Mehrheit im Stiftungsrat, dem zentralen Aufsichts- und strategischen Leitungsorgan des ORF.
Das duale Mediensystem ist In Gefahr
Heinz Lederer, der Leiter des SPÖ-Freundeskreises im Stiftungsrat, will noch vor den Wahlen gemeinsame Sache mit Türkis-Grün machen. Er plädiert im Gespräch mit der Kleinen Zeitung dafür, bei der Besetzung die breite Mitte der Gesellschaft und deren Perspektiven abzubilden, statt sich auf immer kleinere Segmente zu stützen. Zudem will er auch die Unabhängigkeit der Personen gewahrt sehen. Bei Entscheidungen solle auf Konsensdruck gesetzt werden, indem etwa – nach dem Vorbild Deutschlands – Generaldirektor und Bereichsdirektoren mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen.
Und der – in den Augen von Kritikern zu extensive – öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF? Diesen will Lederer nicht beschneiden, aber im Sinne des dualen Systems von öffentlich-rechtlichen und privaten Medien weiterentwickeln: „Wir müssen jetzt alle Möglichkeiten überprüfen, die eine Standortförderung im Medienbereich zum Ziel haben.“ Dies sei, angesichts der Krise etlicher Medien, dringend notwendig. Auch hier strebt Lederer im Sinne einer „Kraftanstrengung der Mitte“ eine breite politische Mehrheit an. Die Möglichkeit, ein neues Gesetz mit Zweidrittelmehrheit in Verfassungsrang zu heben, schließt Lederer ausdrücklich mit ein.
Lederers Angebot kommt für ÖVP und Grüne zu früh. In der Koalition ist die Meinungsbildung noch nicht abgeschlossen, ob überhaupt, und wenn ja, wie, die Regierung das ORF-Gesetz repariert. Eigentlich hatte man hier gehofft, das so schwierige wie leidige Thema mit der Einführung der Haushaltsabgabe, die ab 204 alle Haushalte zwingend zahlen müssen, abgehakt zu haben. Weil seitdem auch die Medienexperten das Kabinett von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) verlassen haben, wird die Entscheidung wohl in den Klubs sowie im Austausch mit den nahestehenden Stiftungsräten fallen.
Kooperation statt Konkurrenz
Wahrscheinlich ist das aber nicht, weil, erstens, die Zeit dazu knapp wird und, zweitens, die Lust in der Regierung, insbesondere auf Seiten der Grünen, überschaubar ist, das Thema an eine nächste Regierung weiterzureichen, in der womöglich die FPÖ, die mit Abstand schärfste Kritikerin des ORF, ein starkes Wort mitzureden hätte. Auch deshalb drängt die SPÖ auf eine rasche Reparatur des ORF-Gesetzes.
Für Lederer ist klar, dass das duale Mediensystem die aktuellen Brüche nur überlebet, wenn sich alle Medien gemeinsam neu erfinden und neu aufstellen. Dazu brauche es eine gemeinsame, von Künstlicher Intelligenz gesteuerte Ausspielplattform sowie eine neu ausgerichtete Kooperation, die gerade auch den regionalen Bereich miteinbeziehen müsse.
Ob es die Bereitschaft bei der Politik und das Vertrauen zwischen ORF und privaten Medienhäusern gibt, ist eine andere Frage. Immerhin darf sich der ORF dank der Haushaltsabgabe finanziell abgesichert fühlen, während vielen Privaten das Wasser bis zum Hals steht.
Die ORF-Finanzierung sieht Lederer unter geänderten politischen Verhältnissen nicht in Stein gemeißelt, da dazu eine einfache Mehrheit reiche. Insbesondere bei der FPÖ, die sich ein autonomes Mediennetzwerk aufgebaut hat, aber ebenso in Teilen der ÖVP sieht er Lust auf weitreichende Eingriffe, was aus seiner Sicht für eine schnelle Reform spreche.
Ob an deren Ende auch eine Abgabe zugunsten aller Medien stehen könnte statt einer nur für den ORF, will Lederer nicht konkret beantworten. Das duale System werde nicht dadurch gerettet, in dem „auf ein totes Pferd gesetzt wird“. Statt als Nebeneinander müsse dieses als Miteinander neu gedacht werden. So brauche der ORF dringend neue Unterhaltungsformate auch für den ländlichen Raum, idealerweise in Kooperation mit den starken Regionalmedien. Gelinge dies, könnten beide Seiten profitieren.