Österreichs Sozialstaat ist keine Baustelle. Aber trotzdem wird permanent ein bisschen geschraubt, geschliffen, manchmal auch gehämmert und anderswo dazugebaut. In der politischen Arena ist der Streit über diese Sanierungsarbeiten allgegenwärtig, er wird auch den anlaufenden Wahlkampf dominieren. Eine große Studie des Wifo offenbart durchaus akuten Redebedarf. Denn gerade dort, wo zuletzt besonders viel um- und neugebaut wurde, nämlich bei Familienleistungen, lässt die Treffsicherheit zu wünschen übrig.
Seit fast 40 Jahren erstellt das Wirtschaftsforschungsinstitut regelmäßig diesen ausführlichen Umverteilungsbericht. „Es gibt wenige Untersuchungen, die das Haus so bewegen“, sagt Wifo-Leiter Gabriel Felbermayr. Im Kern dieser Analyse steht eine politisch zentrale Frage: Wie effektiv sind die staatlichen Umverteilungssysteme? Schließlich ist Umverteilung das Wesen aller Sozialsysteme. Die aktuelle Arbeit umfasst mehr als 200 Seiten, neun Autorinnen und Autoren des Wifo wirkten bei der Studie mit, die vom Bundeskanzleramt, dem Sozialministerium und der Nationalbank gefördert wurde.
Einkommensungleichheit halbiert sich
Drei wesentliche Punkte stechen heraus: Erstens, die Umverteilung funktioniert, wie auch schon die bisherigen Wifo-Untersuchungen zeigten. Das ist also nicht gänzlich neu. Durch diverse staatliche Eingriffe und Leistungen halbiert sich die Einkommensungleichheit durch die Umverteilung. Verglichen werden hier das sogenannte Markteinkommen, das sind zum Beispiel Bruttogehalt und Mieterträge, mit dem Einkommen, das den Haushalten nach steuerlichen Abzügen, dafür mit Sozialtransfers und Sachleistungen (Bildung, Gesundheit) zur Verfügung steht.
Zweitens, seit 2005 hat sich dies – trotz aller Umbauarbeiten – kaum verändert. „Die Stabilität ist erstaunlich“, sagt Silvia Rocha-Akis, eine der Autorinnen. Denn die Gesellschaft verändert sich ständig. Sie wächst, wird älter, weist mehr Singlehaushalte auf, dafür gibt es weniger Alleinerziehende. Unter anderem. All das bedeutet auch, dass Anpassungen des Sozialsystems tatsächlich notwendig sind, um die Stabilität des Systems zu erhalten.
Die dritte, wichtige Aussage betrifft eines der wesentlichen Umbauprojekte des Sozialsystems in jüngerer Vergangenheit: das weite Feld der Familienleistungen. Nicht nur, dass einige neue Leistungen hinzukamen (Familienbonus, Kinderfreibetrag), wird seit geraumer Zeit auch in den Ausbau der staatlichen Kinderbetreuung investiert. Dabei handelt es sich um eine Sachleistung und damit ebenfalls um eine sozialstaatliche Maßnahme.
Junge Familien unter Druck
Wie die Auswertung des Wifo zeigt, besteht auch Bedarf. Denn nirgendwo haben sich die Haushaltseinkommen seit 2005 so schlecht entwickelt wie bei der Gruppe junger Eltern. Auffällig ist ein regelrechter Sprung parallel zur Finanzkrise nach 2008. Seit damals fallen fast 60 Prozent der Jungeltern (bis 35 Jahre) ins unterste Einkommensdrittel. Selbst bei Pensionisten ist es nur rund die Hälfte davon. Das bedeutet auch, dass junge Familien im besonderen Ausmaß von staatlichen Leistungen abhängig sind. „Wenn die Botschaft lautet, dass jüngere Familien mit Kindern unter Druck geraten, ist das ein Auftrag an die Politik“, sagt Sozialminister Johannes Rauch (Grüne).
Sowohl die vergangene als auch die aktuelle Bundesregierung haben sich dem auch gewidmet. So wurde unter Türkis-Blau der Familienbonus Plus eingeführt, ÖVP-Grüne valorisierten Familienleistungen, die zuvor real an Kaufkraft verloren hatten. Da für die Studie nur Daten bis 2019 berücksichtigt werden konnten, sind die allerletzten Anpassungen aber nicht enthalten. Insgesamt gibt es seit vier Jahren nun deutlich mehr für Familien, und dies seien grundsätzlich Leistungen, die sehr effektiv gegen Armut wirken, sagt Rocha-Akis. Durch den üppigen Familienbonus ist aber der Anteil der Steuerbegünstigungen gestiegen, und dieser adressiert eher das mittlere Einkommensdrittel statt des unteren. „Es ist natürlich die Aufgabe, sich anzusehen, was welchen Effekt gehabt hat. Und, ja, das wird man sich anschauen müssen“, sagt Rauch.