Vor dem EU-Sondergipfel am Dienstag in Brüssel haben sich die der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Gegensatz zum EU-Parlament uneins in der Frage gezeigt, ob ein Spitzenkandidat der nächste EU-Kommissionspräsident werden soll. Österreichs neuer Übergangskanzler und Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) unterstützt den EVP-Kandidaten Manfred Weber.
Eine Entscheidung soll beim informellen Abendessen noch nicht getroffen werden. "Sondieren und Zuhören" stehen laut dem scheidenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auf dem Programm. Juncker erwartet sich als Nachfolger als EU-Kommissionschef "einen ähnlich guten wie mich".
"Erfahrung und Glaubwürdigkeit" stehen für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron an erster Stelle für die Vergabe der EU-Spitzenposten. Die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, der französische Brexit-Beauftragte Michel Barnier und der niederländische Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans gehören laut Macron zu dieser Gruppe.
Merkel und Varadkar für Weber
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel stellt sich im Gegensatz zu Macron hinter den CSU-Politiker Weber als Präsidenten der Europäischen Kommission. Da sie beide Mitglieder der konservativen Europäischen Volkspartei seien, werde sie sich natürlich für Weber einsetzen, sagte die CDU-Politikerin in Brüssel und begrüßte, dass auch das EU-Parlament das Spitzenkandidaten-Modell am Dienstag bekräftigt hatte. Österreichs neuer Übergangskanzler und Finanzminister Löger unterstützt ebenfalls den Kandidaten Weber.
Auch Irlands Premierminister Leo Varadkar sprach vor Beginn des Treffens für den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP) Manfred Weber seine Unterstützung aus. Die EVP habe die meisten Stimmen bekommen und ihr Kandidat sei Weber, sagte Varadkar und unterstrich die Bedeutung der Stärkung eines "demokratischen Europas".
Auch Timmermans hat Fürsprecher
Für den spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sanchez ist der sozialdemokratische Spitzenkandidat und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans "der beste Kandidat für die EU-Kommission". Er habe die nötige Erfahrungen dafür, sagte Sanchez vor dem Gipfel, der für die Sozialdemokraten das Personalpaket unter den Regierungschefs verhandelt.
Der liberale niederländische Premier Mark Rutte erinnerte bei dieser Gelegenheit daran, dass seine Parteienfamilie den vom EU-Parlament geforderten Spitzenkandidaten-Prozess nicht unterstützt. Erst auf Grundlage der strategischen Agenda könne der Kommissions- und der nächste EU-Ratspräsident sowie andere Personalfragen entschieden werden, sagte Rutte, räumte aber ein, dass der sozialdemokratische Spitzenkandidat, der Niederländer Timmermans, "fantastisch" bei der EU-Wahl abgeschnitten habe.
Am Ende müsse es Ausgewogenheit zwischen Ost und West, Nord und Süd sowie unter den Geschlechtern geben, zeigte sich Rutte überzeugt. Er erwartet sich erst beim EU-Gipfel im Juni Entscheidungen zum europäischen Personalpaket. Zunächst müsse die EU ihre strategischen Inhalte für die nächsten Jahre definieren.
Vestager als Kompromisskandidatin
Einen Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit in den EU-Institutionen könnte die Besetzung der Kommissionspräsidentschaft durch die liberale dänische EU-Wettbewerbskommissarin Vestager sein. "Selbstverständlich haben wir mit Frau Vestager eine sehr starke Kandidatin", sagte der liberale Luxemburger Premierminister Xavier Bettel vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel.
Unterstützung signalisierte auch der finnische Premier Juha Sipilä. Der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Lindner meinte, sie sei eindeutig eine Spitzenkandidatin. Beistand bekam Vestager zudem von den EU-Kommissarinnen Cecilia Malmström und Vera Jourova.
Der EU-Kommissionspräsident muss vom Europaparlament mit absoluter Mehrheit gewählt werden. Das EU-Parlament fordert, dass der nächste Kommissionschef aus dem Kreis der Spitzenkandidaten für die EU-Wahl kommt: Weber (EVP), Timmermans (Sozialdemokraten), Jan Zahradil (Allianz der Konservativen und Reformer in Europa), Ska Keller (Grüne), Nico Cue (Partei der Europäischen Linken). Die Liberalen (ALDE) gingen mit einem Team in die EU-Wahl, darunter die dänische EU-Wettbewerbskommissarin Vestager.