Italiens Innenminister Matteo Salvini hatte die EU-Wahl zum "Referendum" über die Regierungspolitik ausgerufen. Tatsächlich wurde die Wahl zu einem Plebiszit für Salvini. Seine rechtspopulistische Partei, die vor einem Jahr als Juniorpartner in eine Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung eingestiegen war, verdoppelte ihre Stimmen gegenüber den Parlamentswahlen im März 2018 und rückt zur stärksten Einzelpartei Italiens auf.
Für Salvini, der in den vergangenen Wochen eine zermürbende Wahlkampftour von den Alpen bis Sizilien geführt hatte, könnte der Triumph nicht größer sein. Der 46-jährige Mailänder, der Ende 2013 die Führung einer nach zahlreichen Skandalen zerrüttenden Partei übernommen hatte, konnte das Ergebnis gegenüber den EU-Wahl 2014 fast versechsfachen. Innerhalb eines Jahres kehrte er das Kräfteverhältnis in der Koalition in Rom um. War die Lega bisher mit 17 Prozent die zweitstärkste Regierungspartei, so kann der bereits bisher dominierende Salvini mit jetzt fast 35 Prozent der Stimmen beinahe in Alleinregie die Agenda in Rom diktieren.
Zwar bleibt die Fünf-Sterne-Bewegung weiterhin die stärkste Einzelpartei im Parlament und in der Regierung in Rom, die populistische Bewegung sackte jedoch bei der EU-Wahl auf rund 17 Prozent und damit auf Platz drei hinter die Sozialdemokraten (PD) mit 22,8 Prozent ab. Die europakritische Protestpartei zahlt einen hohen Preis für ihre politische Unerfahrenheit und die koalitionsinterne Konkurrenz des medial allgegenwärtigen Salvini, der mit seinem harten Kurs in der Migrationspolitik, rückgängigen Verbrechenszahlen und Erfolgen im Kampf gegen die Mafia an Popularität zulegen konnte.
Beim Sprung von den harten Bänken der Opposition in die Machtzentralen am Tiber haben die "Cinque Stelle" im letzten Jahr stark an Glanz verloren. Viele Italiener, die bei den Parlamentswahlen 2018 ihre Hoffnungen auf die vom Komiker Beppe Grillo gegründete antieuropäische Partei gesetzt hatten, wandten sich nun der viel tatkräftiger wirkenden Lega zu.
Das Resultat: Die Regierung in Rom ist ein Jahr nach ihrem Start deutlich gestärkt, doch künftig wird Salvini koalitionsintern noch mehr das Sagen haben. Der Innenminister und Vizepremier wird seinen Erfolg nutzen, um Schwerpunkte des Koalitionsprogramms durchzusetzen, die ihm entschieden mehr am Herzen liegen als der Fünf-Sterne-Bewegung: etwa die Einführung einer "Flat Tax", mehr Autonomie für die norditalienischen Regionen und den Bau der umstrittenen Bahntrasse Turin-Lyon.
Außerdem beansprucht die Lega einen EU-Kommissar mit Wirtschaftskompetenzen. Denn Salvini braucht dringend Verbündete in Brüssel. Er weiß, dass auf Italien schwierige Zeiten zukommen. Der Lega-Chef propagiert ein höheres Haushaltsdefizit, um die stagnierende italienische Wirtschaft in Schwung zu bringen. Dafür will er die Defizitgrenze von drei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) abschaffen.
Eine Steigerung von Italiens Staatsschulden ist angesichts der expansiven Wirtschaftspolitik der Regierung unvermeidbar, neue Reibereien mit der EU-Kommission sind im Herbst daher vorprogrammiert. Wie Salvini seine Wahlversprechen, unter anderem eine Einheitssteuer für Familien und Unternehmer auf 15 Prozent, halten wird, steht in den Sternen. Doch die Lega denkt vorläufig lieber nicht an kalte Zahlen und genießt den historischen Wahlerfolg. Für die harte Realität ist noch Zeit genug.
(Schluss) mit/jeg/syl