Der Plan wird nicht aufgehen. Schon zwei Tage nach der EU-Wahl, am 28. Mai, lädt Ratspräsident Donald Tusk zu einem Sondergipfel nach Brüssel. Bei einem Abendessen wollen die Staats- und Regierungschefs das Ergebnis der Wahl besprechen und beginnen, das Personalpaket zu schnüren, das dann schon beim regulären Gipfel im Juni auf Schiene sein könnte.
Doch das Pokerspiel um die Top-Jobs hat zu viele Unbekannte. Dabei geht es nicht nur um die Verschiebung der Kräfteverhältnisse im EU-Parlament: Allen Prognosen nach werden EVP und S+D ihre gemeinsame Mehrheit verlieren, brauchen also für Entscheidungen Partner. Die rechten Fraktionen, die sich neu gruppieren wollen und gemeinsam theoretisch zur zweitstärksten Gruppe aufrücken könnten – ein Zusammenschluss aller Strömungen gilt aber als unwahrscheinlich – kommen nicht infrage, bleiben also etwa Grüne und Liberale. Letztere, zu denen auch die Neos gehören, haben gestern erst bekannt gegeben, dass sie mit dem Wahlbündnis Renaissance von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron eine neue, gemeinsame Fraktion bilden wollen. Es ist davon auszugehen, dass sich jede Fraktion, deren Stimmen gebraucht werden, diese auf die eine oder andere Weise „entlohnen“ lässt.
Um welche Posten es geht
Doch um welche Positionen geht es überhaupt? Zentrale Frage wird die Nachfolge von Jean-Claude Juncker an der Spitze der Kommission sein, die als mächtigste Behörde der EU gilt. Um diese Funktion matchen sich vor allem der derzeitige Fraktionsführer Manfred Weber (EVP) und der Sozialdemokrat Frans Timmermans, aktuell einer der Vizepräsidenten der Kommission. Beide sind Spitzenkandidaten – ein Prinzip, das nicht von allen (etwa den Liberalen) akzeptiert wird. Timmermans könnte davon profitieren, dass nach der Brexit-Verschiebung nun doch noch Labour-Abgeordnete im Parlament mitstimmen können, Weber rechnet damit, als Kandidat der stimmenstärksten Fraktion an die Reihe zu kommen. Doch nach einer einfachen Mehrheit im Parlament braucht der künftige Kommissionschef auch eine qualifizierte Mehrheit der 28 Staats- und Regierungschefs. Beim Gipfel in Sibiu vor wenigen Tagen hatten sich mehrere, vorwiegend liberale, gegen Weber ausgesprochen.
Eine Chance als Kompromisskandidatin hat die derzeitige Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager von den Liberalen, die aber als Einzelperson nicht kandidiert. Immer wieder genannt wird Brexit-Verhandler Michel Barnier, der aber wie Weber zur EVP gehört – Weber stellte in Sibiu leicht genervt fest, seine Fraktion würde zur „lächerlichen Institution“, wenn sie nicht ihn als klar nominierten Kandidaten einsetzen würde.
Neu zu besetzen ist auch der Job von Donald Tusk als Ratspräsident. Angela Merkel wurde zuletzt genannt, hat das aber noch von sich gewiesen. In Frage käme auch der liberale niederländische Premier Mark Rutte, die höchsten Chancen werden derzeit aber der scheidenden litauischen Präsidentin Dalia Grybauskaite zugebilligt.
Federica Mogherini zieht sich als Hohe Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik zurück – auch für diese Funktion käme Frans Timmermans infrage, wenn sich der Kommissionschef nicht ausgeht.
Für den Nachfolger von Antonio Tajani (auch EVP) als Parlamentspräsident zeigt dieser selbst Interesse, je nach Konstellation der anderen Funktionen käme auch der liberale Guy Verhofstadt infrage, ebenso die irische Abgeordnete Mairead McGuiness, derzeit Vizepräsidentin und ebenso von der EVP.
Zu haben ist auch der Posten von EZB-Präsident Mario Draghi, als Kandidaten gelten der deutsche Bundesbankchef Jens Weidman oder Francois Villeroy de Galhau, Gouverneur der französischen Zentralbank.
Ein Posten hängt vom anderen ab; Nationalität, Partei und Geschlecht spielen eine Rolle. Und dann müssen auch noch alle Kommissarstellen neu besetzt werden...