Politische Zeitenwende in Österreich: Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik haben die Freiheitlichen bei bundesweiten Wahlen die Nase vorn. Laut allerletzter Hochrechnung konnte die FPÖ 25,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Bei der Hofburg-Wahl 2016 lag der blaue Kandidat Norbert Hofer im ersten Durchgang zwar auf Platz eins mit knapp 35 Prozent, in der Stichwahl unterlag er aber dem späteren Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Besser als Harald Vilimsky schnitt bei bundesweiten Wahlen nur Jörg Haider 1999 (26,9 Prozent) und Heinz-Christian Strache 2017 (25,9 Prozent) ab.
Die magische 30-Prozent-Schwelle war gestern allerdings außer Reichweite. Im Laufe des Wahlabends musste die Trendprognose um mehr als eineinhalb Prozentpunkte nach unten revidiert werden. Der Abstand zwischen FPÖ und ÖVP schmolz auf weniger als einen Prozentpunkt. Ob das ein weiteres Signal – nach den Urnengängen in Salzburg und Innsbruck – ist, dass im blauen Lager die Bäume nicht in den Himmel wachsen, bleibt abzuwarten. Für Parteichef Herbert Kickl stellte die Europawahl einen Testlauf für den Herbst dar. „Wir glauben, dass wir die einzigen sind, die einen notwendigen Perspektivenwechsel in die Politik hineinbringen. Die anderen Parteien sind noch nicht so weit, ich glaube, da braucht es noch einen Denkzettel von den Wählern im Herbst“, sagt Kickl im Morgenjournal heute früh. Möglicherweise werden sich die Freiheitlichen über den Sommer breiter aufstellen.
ÖVP mit historischem Minus
Verlierer ist die ÖVP, die in der Hochphase der Ära Sebastian Kurz bei den Europawahlen im Mai 2019 noch fast 35 Prozent erzielt hatte. Laut Hochrechnung landete die Volkspartei mit 24,7 Prozent dann doch deutlicher als in der Trendprognose ausgewiesen vor der SPÖ. Nichtsdestotrotz bleibt es das größte Minus, das die ÖVP bei einer bundesweiten Wahl je zu verantworten hatte. Die ÖVP fuhr gestern auch das schlechteste Ergebnis bei einer Europawahl seit dem Beitritt ein.
Für die ÖVP setzt sich der „Minus-Kurs“ seit dem Abgang von Sebastian Kurz fort. In einer ersten Reaktion meinte ÖVP-Chef Karl Nehammer: „Ich habe die Botschaft verstanden.“ Man kann davon ausgehen, dass die ÖVP bis zur Wahl in dreieinhalb Monaten noch kantiger auftreten wird. Eine Obmanndebatte ist wohl vom Tisch.
Die SPÖ musste laut Hochrechnung sogar ein Minus gegenüber 2019 hinnehmen. Der von vielen erhoffte Babler-Effekt ist ausgeblieben. Welche Konsequenzen der SPÖ-Chef aus dem dürftigen Abschneiden zieht, bleibt offen. Den Grünen hat die Causa Schilling offenkundig weniger geschadet als angenommen. Sie verzeichnen zwar ein Minus gegenüber dem Rekordergebnis 2019, bleiben aber immerhin zweistellig (10,9 Prozent). So gesehen kommt Parteichef Werner Kogler mit einem blauen Auge davon. Offenbar hat sich bei den Grünen ein Teflon-Effekt eingestellt.
Erfolg für die Neos
Erstmals zweistellig – und mit einem Plus – haben die zuletzt wenig erfolgsverwöhnten Neos unter ihrem Spitzenkandidaten Helmut Brandstätter abgeschnitten. Den Einzug ins EU-Parlament haben die KPÖ wie auch die impfskeptische DNA verpasst.
Der Wahlausgang in Österreich spiegelt den Trend in Europa wider. Rechte Parteien gewannen am Wahlwochenende in ganz Europa mehr als 50 Mandate dazu und stellen im künftigen EU-Parlament ein Drittel aller Parlamentarier. Angesichts der Fragmentierung des rechten Lagers, das in drei Gruppierungen aufgesplittert ist, bleibt die EU-Volkspartei (EVP) die größte Fraktion.
Sie können für Österreich gesamt zwischen dem „Vorläufigen Ergebnis“, bei dem noch eine gewisse Anzahl an Wahlkarten fehlt, und der Hochrechnung inklusive Wahlkartenprognose umschalten.