Die Europawahlen in Frankreich haben für ein politisches Erdbeben gesorgt. Staatspräsident Emmanuel Macron hat noch am Wahlabend Konsequenzen aus dem haushohen Sieg der Rechtspopulisten gezogen und Neuwahlen Ende Juni, Anfang Juli angekündigt. „Ich kann nicht so tun, als wäre nichts geschehen“, sagte Macron bei einer überraschenden Fernsehansprache, nachdem das rechtspopulistische Rassemblement National (RN) mit 31,5 Prozent der Stimmen die proeuropäische Liste des Präsidenten weit hinter sich gelassen hat.

Macron sprach von einer „gravierenden Entscheidung“, betonte aber, dass er den Franzosen vertraue. Bereits im Vorfeld hatte RN-Spitzenkandidat Jordan Bardella Neuwahlen gefordert. Obwohl das Ergebnis nicht überraschend ist, hatte der Präsident das bisher abgelehnt. Umfragen der vergangenen Wochen sehen Marine Le Pens Partei allerdings als klaren Sieger einer Neuwahl. Sie könnte die klare Mehrheit in der Nationalversammlung erhalten und mit Bardella den Regierungschef stellen. Das könnte ein politisches Kalkül Macrons sein: Gut möglich, dass er die Rechtspopulisten vor den nächsten Präsidentschaftswahlen 2027, bei denen er nicht mehr antreten kann, vorführen will. Er setzt darauf, dass sich der erst 28-jährige Bardella und die Parteikollegen vom RN als nicht auf der Höhe dieser Aufgabe erweisen. Macron hatte sich seit 2017 als Garant dafür verstanden, einen Sieg der Rechtspopulisten zu verhindern. Sollte er nach zwei Amtszeiten und einem Jahrzehnt an der Macht die Schlüssel des Elysée-Palastes an Le Pen übergeben, würde er als gescheiterter Präsident in die Geschichtsbücher eingehen. 

Mit Bardella als Spitzenkandidat hat die Partei bei der EU-Wahl das beste Ergebnis in ihrer Geschichte errungen. Bereits bei den beiden vorangegangenen Europawahlen hatten die französischen Rechtspopulisten am besten abgeschnitten. Beim letzten Mal allerdings nur mit einem Prozent Vorsprung vor Macrons Liste. Dieses Mal ist das Parteibündnis des Präsidenten „Besoin d’Europe“ mit 15 Prozent weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz gelandet.

Bardella, der dank seiner Präsenz auf den sozialen Medien auch viele Junge anspricht, ist es gelungen, die Europawahl zum „Referendum gegen Macron“ zu machen. Die Franzosen haben ihre Regierung und ihren Staatschefs hart sanktioniert. Der RN wird 29 bis 31 Sitze von 81 erhalten und ein starkes Bündnis mit Gleichgesinnten im Parlament suchen. Le Pen sprach von einer klaren Botschaft. Das französische Volk wolle nicht länger diese „technokratische, abgehobene und immer brutalere Konstruktion“, schrieb die 55-Jährige auf dem Kurznachrichtendienst X.

Mit nur einem Punkt Abstand hinter Macrons proeuropäischen Liste folgt das sozialliberale Bündnis von Raphaël Glucksmann. Die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) kam trotz eines äußerst spaltenden Wahlkampfs auf knapp neun Prozent.

Die französischen Konservativen setzen ihren schon viele Jahre währenden Abstieg fort und kamen am Sonntag auf nur sieben Prozent. Jeweils knapp über fünf Prozent erhielten die französischen Grünen und die rechtsextreme Partei von Éric Zemmour mit Marion Maréchal als Spitzenkandidatin. Der national-identitäre Block aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen kommt damit zusammengerechnet auf 37 Prozent in Frankreich.