Es wurde bunt am Wahlabend. Für die Europawahl gilt keine Sperrklausel in Deutschland. Und so reihte sich Balken neben Balken in der Ergebnisgrafik, das Bild ging stark in die Breite. Die 96 Abgeordneten, die Deutschland ins Europaparlament schickt, verteilen sich auf mehr als zehn Gruppierungen, darunter die proeuropäische Jugendbewegung Volt mit drei Prozent und das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit gut sechs Prozent, mehr als die Linke (etwa drei Prozent).

CDU stimmenstärkste Partei

Am höchsten kletterte der Balken der Union, für die die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als nationale Spitzenkandidatin antrat. Sie stellt mit rund dreißig Prozent die stärkste Kraft im Land. Wieder, lässt sich nach dem Absturz bei der Bundestagswahl 2021 sagen. „Die CDU ist wieder da“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Noch eines bekräftigte er, den Anspruch der christdemokratischen Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen auf eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin: „Der Bundeskanzler muss sie im Europäischen Rat jetzt vorschlagen.“ Nur zu einem Punkt schwieg der Generalsekretär: der K-Frage. „Das entscheiden wir nach den Landtagswahlen im Herbst“, so Linnemann. Doch scheint dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz die Kanzlerkandidatur kaum mehr zu nehmen.

SPD und Grüne stürzen ab

Von Posten war in der SPD nicht die Rede. Wohl aber vom Personal. „Das ist eine Wahlniederlage. Von allen“, erklärte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Nur knapp vierzehn Prozent erzielte seine Partei mit Spitzenkandidatin Katarina Barley, gut einen Punkt weniger als vor fünf Jahren und das schlechteste Ergebnis bei einer Abstimmung auf Bundesebene. Deshalb mochte Kühnert keine Debatte über Kanzler Olaf Scholz aufkommen lassen. Zur Erinnerung: Das maue Ergebnis bei der Europawahl 2019 war der Anfang vom Ende von Andrea Nahles als Parteichefin. „Wir haben einen guten Bundeskanzler. Und er wird auch der nächste Kanzlerkandidat der SPD sein“, baute SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert schon vor der Wahl vor. Die SPD ist mit sich beschäftigt. Das Regieren mit der FDP (rund fünf Prozent) wird nicht einfacher. Haushaltsberatungen stehen an. Kühnert stritt sich noch am Wahlabend mit den Liberalen über Einsparungen im Sozialbereich. Es rumpelt gewaltig in der Ampel.

Auch bei den Grünen steigt die Nervosität. Nur zirka zwölf Prozent erreichte die Partei, acht Punkte weniger als bei der letzten Europawahl. Keine andere Partei verlor so stark. Unter den Erstwählern verlor die Partei 18 Punkte. Das heißt: Krisenstimmung. Und so wird nach diesem Wahlabend nicht nur auf Europa geschaut, sondern auch auf die Bundestagswahl 2025. Die unausgesprochene Frage lautet: Rot oder Grün - wer wird Juniorpartner der Union? Fein wird notiert, dass die Attacken aus der Union auf die Öko-Partei schon vor der Hochwasserwelle abebbten. Deutschland richtet sich langsam ein auf eine Bundesregierung unter Unionsführung.

Bündnis Wagenknecht und AfD feiern Erfolge

Die Stimmung ist gedrückt. Zweitstärkste Kraft im Land ist die AfD. Auf gut sechzehn Prozent kam die Bewegung, fünf Punkte mehr als bei der Europawahl 2019, aber weit entfernt von den Umfragen zu Jahresbeginn. Verantwortlich sind interne Patzer wie der Verdacht auf geldwerte Vorteile aus Russland, aber auch verharmlosende Geschichtsvergleiche von Spitzenkandidat Maximilian Krah. In Frankreich war das selbst Rechtsaußen Marine Le Pen zu viel, sie will mit der AfD auf EU-Ebene nicht mehr weiterarbeiten. Zumindest in Europa ist die AfD isoliert. In Deutschland wird es vor den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Herbst spannend.

Aus dem Stand etabliert hat sich auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit rund sechs Prozent der Stimmen. Die AfD ist nicht mehr allein die Heimat des Protests. Für Europa wird das neue Deutschland schwerer berechenbar.