Als ein „Irrenhaus“ bezeichnete Harald Vilimsky, seines Zeichens FPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl am 9. Juni, die Europäische Union auf der 1. Mai-Kundgebung in Linz.
Stefan Lehne, Europaexperte im US-Thinktank Carnegie Europe in Brüssel, überraschen solche Aussagen von rechten Politikern des EU-Parlaments nicht. „Sie sehen die Kommission als Feindbild“, sagte Lehne Montagabend im ZiB 2-Studio bei Armin Wolf. Mit „sie“ sind die Identität und Demokratie (ID) sowie die Europäische Konservative und Reformer (EKR) – also die beiden rechten Fraktionen im EU-Parlament – gemeint. Die FPÖ gehört zu erster Fraktion.
Während sich alle anderen großen Parteien in ihrem europäischen Pendant wiederfinden, teilen sich die rechtspopulistischen Parteien auf europäischer Ebene auf. Warum, erklärte Lehne so: „Im Kern sind sie alle nationalistische Parteien, die sich nach der verflossenen Souveränität der Nationalstaaten zurücksehnen. Das eint sie auf der einen Seite, trennt sie auf der anderen aber auch, weil nationale Interessen teilweise sehr unterschiedlich sind, ja sogar gegensätzlich.“
Europaexperte Stefan Lehne in der ZiB 2:
„Das ist ein widersprüchliches Konzept“
Dies würde man zum Beispiel sehr deutlich in der Einstellung gegenüber Russland sehen. Während die nordischen Rechtsparteien und auch jene aus Polen das Vorgehen Russlands strikt ablehnen und die Ukraine intensiv unterstützen, hätten jene aus Österreich und Ungarn großes Interesse an guten Verbindungen zur Kriegsnation.
Damit könne man schwer eine gemeinsame Front aufbauen, betonte Lehne. „Sie reden von einem Europa der Nationen, in dem die Kompetenzen an die Mitgliedsstaaten zurückgehen. Das ist aber ein widersprüchliches Konzept. Wenn man die Souveränität wiederherstellt, fragmentiert man die europäische Wirtschaft. Das ergäbe einen gigantischen Wohlstandsverlust.“
Allerdings gäbe es sehr wohl Parteien in der EKR, die das „Spiel“ mitspielen und sich auf den Politbildungsprozess in der EU einlassen würden – beispielsweise Giorgia Meloni mit ihrer Fratelli d’Italia. Ihre Hoffnung bestünde darin, mit einem Wahlerfolg Teile der Europäischen Volkspartei (EVP) auf ihre Seite zu ziehen. „Das hätte Auswirkungen auf die Klimagesetzgebung, die Migrationspolitik würde wahrscheinlich restriktiver werden und mit der Rechtsstaatlichkeit würde sich nicht mehr viel abspielen“, meinte Lehne. Die ID bilde hingegen eine Art „Fundamentalopposition“, die die Vertretung im Parlament nur als Bühne nutze, um Propaganda für ihr eigenes innenpolitisches Kalkül zu machen.
Trotzdem gäbe es immer wieder Wechsel einzelner Politikerinnen und Politiker von der einen Fraktion in die andere und darum auch Konflikte innerhalb der EKR beziehungsweise ID, wie zuletzt zwischen Marine Le Pen und Alice Weidel. Schaden würde dies bei der bevorstehenden Europawahl laut Lehne aber nicht wirklich, denn: „Es sind eigentlich 27 parallele Wahlen.“ Der nationale Charakter würde einfach überwiegen.
Der Europaexperte rechnet damit, dass die rechten Fraktionen zusammen rund 25 Prozent der Mitglieder des Parlaments stellen werden. Sogar ein potenzielles Bündnis zwischen der aktuellen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Giorgia Meloni wäre für ihn denkbar, wenn sich die Deutsche damit erneut den Vorsitz der EU-Kommission sichern könnte. „Meloni würde dadurch wiederum akzeptabler bei den anderen Fraktionen werden.“