Mit den Worten "Lang lebe Europa!" beendete EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen eine mehr als einstündige "Rede zur Lage der Union". Mit Spannung erwartet wurden vor allem Details zur Bekämpfung der Teuerung und Energiekrise. Aber auch ganz grundsätzliche Themen wurden von der Deutschen ausführlich behandelt.
Die Rede zum Nachhören:
Botschaft an Russland
Russland kann nach den Worten von von der Leyen auf absehbare Zeit nicht mit einer Aufhebung der EU-Sanktionen rechnen. "Ich möchte keinen Zweifel daran lassen, dass die Sanktionen von Dauer sein werden", sagte die Deutsche am Mittwoch bei ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union in Straßburg. Moskau trage die Verantwortung dafür, dass die russische Wirtschaft den Anschluss verliere.
"Dies ist der Preis für Putins Spur des Todes und der Vernichtung." Die Strafmaßnahmen der EU gegen Russland seien die schärfsten Sanktionen, die die Welt je gesehen habe. Von der Leyen will noch am Mittwoch selbst nach Kiew reisen und Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen.
Es wäre bereits von der Leyens dritte Reise in die Ukraine, seit Russland das Land am 24. Februar angegriffen hatte. Im April besuchte sie unter anderem den Kiewer Vorort Butscha, in dem kurz zuvor Kriegsverbrechen öffentlich geworden waren. Im Juni sprach sie mit Selenskyj und Ministerpräsident Denys Schmyhal in Kiew über noch offene Punkte des ukrainischen EU-Aufnahmegesuchs. Mittlerweile haben die 27 EU-Staaten der Ukraine den Status als EU-Kandidat erteilt.
Ukraine solle "an Erfolgsgeschichte teilnehmen"
Zudem sagte sie, Europa habe seit dem ersten Tag an der Seite der Ukraine gestanden und werde dies auch auf lange Sicht tun. Mit Waffen, finanzieller Unterstützung und der Aufnahme von Flüchtlingen habe man dem Land geholfen. "Bisher hat das Team Europa finanzielle Hilfe von mehr als 19 Milliarden Euro bereitgestellt", sagte von der Leyen. Dabei sei militärische Unterstützung noch nicht mit eingerechnet.
"Unser Binnenmarkt ist eine der größten Erfolgsgeschichten Europas. Nun ist es an der Zeit, ihn auch für unsere ukrainischen Freundinnen und Freunde zu einer Erfolgsgeschichte zu machen", sagte von der Leyen. Im Plenum des EU-Parlaments war auch Selenskyjs Ehefrau, Olena Selenska, anwesend. Sie wurde mit viel Applaus begrüßt.
Russlands Industrie liege am Boden und sie hätte eine Botschaft Richtung Moskau: "Die Sanktionen müssen bleiben", betonte von der Leyen. Die Abhängigkeit von Russlands Gas habe einen noch höheren Preis.
Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union müssen aber vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs damit rechnen, dass die nahe Zukunft schwer werde. "Die bevorstehenden Monate werden nicht leicht", sagte von der Leyen. "Weder für Familien, die nur schwer über die Runden kommen, noch für Unternehmen, die schwierige Zukunftsentscheidungen treffen müssen."
Antworten auf die Energiekrise
Es sei nicht in Ordnung, dass Energiekonzerne aus dieser Situation Gewinne erzielen würden, und spielt damit die geplante Besteuerung von Gewinnen an. Zudem wolle man vermehrt auf erneuerbare Energien setzen. Von der Leyen kündigt eine umfassende Reform des EU-Strommarkts an. Die EU will über 100 Millionen Euro ausgeben, um den Preisanstieg zu dämpfen. Das Merit-Order-Prinzip, mit dem derzeit der Strompreis anhand des teuersten Kraftwerks am Netz ermittelt wird, sei nicht mehr zeitgemäß.
Die Übergewinnabgabe würde "mehr als 140 Milliarden Euro für die Mitgliedstaaten bringen, um die Not unmittelbar abzufedern", sagte von der Leyen. Der Gesetzesvorschlag sehe vor, dass übermäßige Gewinne vieler Stromproduzenten an Verbraucher verteilt werden sollen, um sie bei den hohen Kosten zu entlasten. Der Strompreis wird derzeit vom hohen Gaspreis getrieben und auch Produzenten von billigerem Strom – etwa aus Sonne, Wind, Atomkraft oder Kohle – können diesen zu den hohen Preisen verkaufen. Firmen, die Elektrizität nicht aus Gas herstellen, sollen einen Teil dieser Gewinne abgeben. Laut einem Entwurf sollen Einnahmen ab 180 Euro pro Megawattstunde an den Staat gehen. Aus diesem Geld sollten Entlastungsmaßnahmen finanziert werden.
Aber auch Gas- und Ölkonzerne sollten von der Leyen zufolge ihren Beitrag leisten über eine Krisenabgabe. Laut dem Entwurf sollen sie auf Profite des laufenden Jahres, die 20 Prozent über dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre lagen, eine Solidaritätsabgabe von 33 Prozent zahlen.
Stromverbrauch zu Spitzenzeiten verpflichtend senken
Von der Leyen kündigte zudem Maßnahmen an, um den Stromverbrauch der EU-Länder insgesamt zu senken. Laut dem Entwurf soll der Stromverbrauch zu Spitzenzeiten verpflichtend um mindestens fünf Prozent gesenkt werden. Dafür sollen die EU-Länder Anreize schaffen.
Die EU-Energieminister hatten die Kommission vergangenen Freitag auch dazu aufgefordert, Vorschläge für einen Preisdeckel für Gas sowie für Liquiditätshilfen für Energieversorger vorzulegen. Von der Leyen kündigte an, dass man Maßnahmen entwickeln werde, die die Besonderheiten der Beziehungen zu Lieferanten berücksichtigten. Zu dem zweiten Punkt sagte sie, dass der Rahmen für staatliche Beihilfen im Oktober geändert werde, um Garantien zu ermöglichen. Auch an einer langfristigen Reform des Strommarktes werde gearbeitet.
Von der Leyen zog einen Vergleich der aktuellen Energiekrise zur Ölkrise vor 50 Jahren. Auch damals sah sich der Kontinent mit extrem hohen Preisen für Energie konfrontiert, doch die Antwort in Form von massiven Subventionen sei damals die falsche gewesen, führte zu mehr Abhängigkeiten, wofür man nun den Preis zahle. Das grundsätzliche Problem seien nicht die hohen Preise, sondern die Abhängigkeit von fossiler Energie.
Flexibilität beim Schuldenabbau
Die geplante Reform der EU-Schuldenregeln soll für mehr Flexibilität beim Abbau von Schulden sorgen. "Im Oktober werden wir neue Vorschläge für unsere wirtschaftspolitische Steuerung vorlegen." Neben mehr Flexibilität solle es aber auch eine größere Rechenschaftspflicht geben, wenn es um das Erreichen der vereinbarten Ziele gehe.
"Es sollte einfachere Regelungen geben, die alle befolgen können", sagte von der Leyen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt schreibt den Staaten Obergrenzen vor. EU-Länder sollen nicht mehr als 60 Prozent der Wirtschaftsleistung an Schulden aufnehmen. Haushaltsdefizite sollen bei drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedeckelt werden. Die Regeln wurden in der Vergangenheit teils nicht konsequent durchgesetzt und sollen reformiert werden. Da viele Staaten während der Coronakrise enorme Schulden aufnehmen mussten, wurden die Regeln ausgesetzt. Auch wegen der Folgen des Ukraine-Kriegs sollen sie erst ab 2024 wieder vollständig gelten.
Redaktion