Portugal hat den aktuellen EU-Ratsvorsitz gleich mit mehreren Erfolgsmeldungen für sich selbst gut ausgelegt, noch dazu in den beiden dominierenden Themen. Als erstes Land der Union konnten die Portugiesen ihren nationalen Plan zur Verwendung der europäischen Corona-Hilfen fertigstellen und bei der EU-Kommission einreichen, damit kommt die Hilfe aus dem Wiederaufbauprogramm auf den Weg – 13,9 Milliarden Euro. Parallel dazu ist es dem 16-Millionen-Einwohnerland gelungen, sich aus einer verheerenden Coronalage mit fast 17.000 Toten zu befreien und in relativ kurzer Zeit als Musterland zu gelten. Wie ging das alles?
Schon im Oktober begonnen
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) ist derzeit bei einem Arbeitsbesuch mit dichtem Programm in Lissabon und tauscht bei Gesprächen mit Ministern und Experten Erfahrungen aus. Edtstadlers Amtskollegin, Europa-Staatssekretärin Ana Paula Zacarias, fasste das Wiederaufbau-Konzept kurz zusammen: „Wir haben schon im Oktober begonnen mit einer unabhängig erstellten Übersicht: Was brauchen wir langfristig, mittelfristig und sofort?“ Strukturiert wurde in enger Zusammenarbeit mit der Kommission, es gab auch eine öffentliche Konsultation: „Bürger, Unternehmen, Organisationen haben teilgenommen, es gab mehr als 2000 Einreichungen.“ Abschließend wurde nachgeschärft, etwa mehr Augenmerk auf die Wirtschaft gelenkt.
Weit mehr Aufmerksamkeit bekommt Portugal aber wegen seiner Corona-Geschichte. Das Land an der Atlantikküste hatte sich halbwegs über Sommer und Herbst gebracht, doch dann explodierten die Zahlen; die traditionellen Verbindungen zu Brasilien und auch zu Großbritannien spielten eine Rolle. Portugal reagierte mit einem harten Lockdown: Alle Geschäfte und Lokale zu, massive Ausgangsbeschränkungen. Es mag bei der erfolgreichen Umsetzung eine Rolle gespielt haben, so Zacarias, dass das Land zentralistisch geführt wird. Vor allem aber fand man offensichtlich eine Mischung aus strengen Maßnahmen und Flexibilität: „Die Leute brauchen Sicherheit. Sie müssen wissen, ob die Schulen offen haben, oder nicht.“
Inzidenz von 62 bis 120
Das bestätigt auch Gesundheitsexperte André Peralta Santos: „Momentan liegen wir bei einer 14-Tage-Inzidenz, die zwischen 62 und 120 schwankt. Für die Maßnahmen haben wir innerhalb des Lockdowns ein System mit vier Phasen geschaffen.“ Laufend werden die Daten in eine „Risk Matrix“ eingepflegt, die sowohl aktuelle Inzidenzen als auch den Trend berücksichtigt. Ganze Landesteile wandern so zwischen den Phasen hin und her; bessert sich die Lage, kommt man in eine bessere mit mehr Lockerungen, wird es schlimmer, werden die Maßnahmen wieder verschärft. Als Maßstab gilt die 120-Inzidenz.
Seit Beginn dieser Woche dürfen Restaurants und Cafes auch in den Innenräumen wieder offen halten – allerdings nur bis Samstag Mittag, sonntags bleibt alles geschlossen. Santos: „Damit nicht durch Ausflügler alles total überlaufen ist.“ Es gibt Masken- und Abstandspflichten, die offensichtlich gut eingehalten werden, ebenso Homeoffice-Pflicht.
Top-Thema Impf-Zertifikat
Für Karoline Edtstadler ist der Austausch innerhalb der EU-Länder extrem wichtig: „Wir brauchen Allianzen in drei Bereichen: Kampf gegen Covid, Koordination beim Wiederaufbau und ein gemeinsamer Plan für die Zukunft.“ Top-Thema ist natürlich das EU-Impfzertifikat, kurz „Grüner Pass“. Hier zeigen sich beide Ministerinnen sehr optimistisch, dass das Zertifikat bis zum Sommerbeginn – also zumindest bis Anfang Juli – zur Verfügung steht. Edtstadler umreißt das in Lissabon so: „Wir müssen den Leuten die Hoffnung geben, dass sie bald das Meer wieder sehen können.“ Derzeit laufen in Brüssel die Triloge, das EU-Parlament hat ja einem beschleunigten Verfahren zugestimmt. Aber, erinnert Zacarias, es gebe noch Bedenken wegen eines ausreichenden Datenschutzes. Auch Detailfragen sind immer noch offen, etwa, was die Beurteilung von Impfstoffen angeht, die nicht in der EU zugelassen sind.
Edtstadler meinte, in Österreich sei nach der Verzögerung durch den Bundesrat nun zumindest Anfang Juni mit den ersten Gehversuchen des Grünen Passes zu rechnen. Beide Politikerinnen betonten, dass das Zertifikat Mobilität auf allen Ebenen bringen würde, nicht nur im Tourismus: „Auch für Geschäftsreisen und Sport- und Kulturveranstaltungen.“ Die Modalitäten dieser neuen Freiheiten besprach Edtstadler schließlich auch mit Außenminister Augusto Santos Silva und Innenminister Eduardo Cabrita. Die weiteren Schritte einer EU-weiten Öffnung müssen koordiniert ablaufen.
Andreas Lieb aus Lissabon