Die Zahlen an durchgeführten Tests, die Zahl der positiv getesteten Menschen, die Zahl der Genesenen, die Zahl der Todesfälle – alle diese Daten, die derzeit von den Ländern weltweit gemeldet werden, sind nur schwer vergleichbar. Man weiß zu wenig über die Methodik, vor allem aber muss man davon ausgehen, dass jedes Land hier seinen eigenen Zugang wählt. Führt man also zum Beispiel weniger Tests durch, sinkt auch die Zahl der Infizierten – weil man sie schlicht nicht erfasst.
Diese Unterschiede sind vermutlich eine der wichtigsten Erklärungen dafür, dass Belgien der traurige Corona-Rekordhalter bei den Todesfällen im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist. Aktueller Stand ist 6679 Tote, allein von gestern auf heute sind wieder 190 dazu gekommen. Was ist in Belgien, das kaum mehr Einwohner als Österreich hat, anders?
Zum einen mag es für eine tendenziell schlimmere Situation spezifische Gründe geben. Zumindest die Stadt Brüssel ist ein internationaler Schmelztiegel, Abertausende Menschen haben heuer wie jedes Jahr die „Karnevalsferien“ für Urlaube in vielen Ländern genutzt. Belgien hat eine sehr hohe Besiedelungsdichte, es grenzt an die Niederlande an, die zu Beginn eher lockere Maßnahmen gewählt haben.
Andere Zählweise
Doch Belgien hat in der Statistik von Beginn an einen Weg gewählt, den die meisten anderen Länder nicht gegangen sind. In Belgien werden auch alle Todesfälle einberechnet, für die es keine Covid-Bestätigung gibt, die aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das Virus zurückzuführen sind. Das betrifft vor allem Bewohner von Alters- und Pflegeheimen, die mehr als die Hälfte aller Todesfälle (53 zu 47 Prozent) ausmachen und in anderen Ländern – etwa in Großbritannien – überhaupt nicht registriert werden. Nur ein kleiner Bruchteil dieser Fälle (etwa sechs Prozent) ist durch Tests oder im Zuge von Obduktionen bestätigt, der Rest wird aufgrund der Todesumstände begründet angenommen.
In den letzten Wochen waren deshalb im Land Diskussionen darüber entbrannt, ob man nicht auch so wie andere Länder rechnen sollte; die meisten Toten, das ist ein erster Platz, den niemand haben will. Die Regierung sah aber ein, dass das inmitten der Krise nicht mehr so einfach geht und blieb bei ihrem Weg. Eine Schlussfolgerung ist schließlich, dass die belgischen Zahlen viel eher der Realität entsprechen, als jene aus anderen Ländern.
Der Begriff "Übersterblichkeit"
Mittlerweile wird weltweit darüber diskutiert, an welche Zahlen man sich denn in der Bewertung der tatsächlichen Corona-Folgen halten sollte. Die aussagekräftigste dürfte wohl jene der „Übersterblichkeit“ sein. Vereinfacht gesagt, sieht man in der langjährigen Statistik, wie viele Menschen in einem Land normalerweise sterben – im Frühjahr etwa meistens etwas mehr, als Folge von Grippewellen. Der „Spiegel“ hat nun eine Reihe von Vergleichen gezogen, in denen man den meist signifikanten Unterschied zwischen offiziellen Zahlen und tatsächlichen Todesfällen sieht.
Am Beispiel der Lombardei (Italien): Laut aktuellen Zahlen starben hier in 622 Gemeinden in sechs Wochen insgesamt 21.300 Menschen – das sind um 13.100 Tote mehr, als üblicherweise in dieser Zeit registriert werden. Nur die Hälfte dieser zusätzlichen Fälle scheint aber in der Corona-Statistik auf. New York City hingegen hat eine nur marginale Abweichung der Übersterblichkeit von etwa zwei Prozent – auch dort ist man einen ähnlichen Weg wie Belgien gegangen und hat auch Todesfälle ohne Bestätigungen aufgenommen. Gleichzeitig sieht man an der Grafik den immensen Anstieg der Todesfälle insgesamt von wöchentlich etwa 1200 im langjährigen Schnitt auf weit über 4000.
Belgien will heute noch einen Fahrplan über Lockerungsmaßnahmen bekanntgeben. Das mag angesichts der hohen Todeszahlen überraschend wirken, würde sich aber durch den Zugang erklären lassen. Generell scheint sich auch in Belgien die Lage leicht zu bessern, allerdings nimmt die Zahl der Fälle immer noch zu. 970 Menschen werden derzeit in Krankenhäusern behandelt. Wie viele Opfer die Krise tatsächlich gekostet hat, wird man wohl erst am Ende des Jahres sehen können – wenn sich 2020 mit all den Jahren davor vergleichen lässt.