Ursula von der Leyen hat es schon wieder geschafft. Zum zweiten Mal trat sie vor den kritischen Zuhörern aus allen politischen Lagern im EU-Parlament auf und zum zweiten Mal gelang es ihr, in klaren, persönlich wirkenden und emotional besetzten Worten die Mandatare zu einem wesentlichen Teil auf ihre Seite zu bringen. Bei ihrer eigenen Bestätigung war es ein knapper Überhang von neun Stimmen gewesen, diesmal fiel das Votum klarer aus: 461 von 707 Anwesenden stimmten für ihre neue Kommission. Die Präsidentin ist aufrichtig erfreut, sie spricht von einem „Vertrauensvotum für eine Agenda des Wandels.

Alles andere als die Zustimmung wäre freilich eine Sensation gewesen, hat doch das Parlament die Kandidaten zuvor schon auf Herz und Nieren geprüft und dreien von ihnen (aus Rumänien, Ungarn und Frankreich) die Zustimmung verweigert. Wer sich beim Abstimmen wie verhielt, war vorab schon klar: Die neue Kommission hat ihre Basis in der proeuropäischen politischen Mitte. EVP, S&D und die Liberalen stimmten für sie, die Linken und die Rechten sind gegen sie und die Grünen enthielten sich – sie seien nicht mit allem einverstanden, wollen aber ausdrücklich ihre Bereitschaft zur gedeihlichen Zusammenarbeit dokumentieren, heißt es von dort.

Ursula von der Leyen wiederholte ihr Programm und verknüpfte es mit dem jeweils zuständigen Kommissar, dabei gelang es ihr, die kritischen Zuhörer durch klug gewählte Realbeispiele für sich zu gewinnen. Etwa, als sie an die Schleppertragödie in England mit 39 Todesopfern erinnerte und sich festlegte: „So etwas darf niemals wieder geschehen.“ Oder, als sie auf eine der Hauptsäulen ihres Zukunftsprogramms zu sprechen kommt, dem Kampf gegen den Krebs und die verstärkte Forschung – da erzählt sie, wie es ihr selbst erging, als ihre damals elfjährige Schwester erkrankte und starb.

Mehrfach zitierte von der Leyen Vaclav Havel – man müsse von dem, was man mache, überzeugt sein. Freilich gibt es eine ganze Reihe zentraler Punkte des neuen Arbeitsprogramms, dessen Details noch im Unklaren sind und die davon abhängen, ob die anderen beiden Institutionen – also Parlament und Rat – die Umsetzung auch mittragen können.

Viele große Themen

So war eines der Themen bei der anschließenden Pressekonferenz die künftige Verteidigungspolitik Europas; die Nato sei nicht infrage zu stellen, die EU selbst würde kein militärisches Bündnis bilden können, sagte die Präsidentin. Allerdings will sie eine echte Verteidigungsunion und auf drängt auf eine geopolitische Stärkung der EU zwischen den USA und China. Auf Nachfrage nannte sie als „Werkzeug“ den Europäischen Verteidigungsfonds und gemeinsamen Einkauf und Entwicklung. So soll eine „europäische Drohne“ nicht nur kostengünstiger und nachhaltiger hergestellt werden können, man würde auch die Herrschaft über das digitale Innenleben und die Datentransfers behalten, was bei zugekauften Gerätschaften immer schwieriger wird.

Schon nach den ersten 100 Tagen will die Kommission namhafte Gesetzesvorschläge erarbeitet haben, die sich vor allem um die Erreichung der ambitionierten Klimaziele drehen. Landwirtschaft, Digitales, Forschung, Migration, neuer grüner Deal, Budget, überhaupt gleich die gerade startende „Reform der EU“ – es warten sehr viele Baustellen auf die neue Kommission. Sie kann nun am Sonntag ihre Arbeit aufnehmen, am Vormittag ist ein kleiner Festakt mit den Präsidenten von Rat und Parlament geplant. Ursula von der Leyen zieht dann auch offiziell in ein eigens eingerichtetes Zimmer im riesigen Kommissionsgebäude ein, in dem sie, auf rund 25 Quadratmetern, gleich neben den Büros unter der Woche wohnen wird.

„Wie ist das dann am Wochenende – Ursula allein zuhaus?“ fragt ein Journalist. Oh, kommt die Antwort, am Samstag gebe es ein kleines Treffen mit allen Kommissaren und am Sonntag wird vor allem telefoniert, der Reihe nach quer durch die G20. Am Montag wartet dann der erste Auslandstermin: Madrid, Klimagipfel.