Tag der Abrechnung: In der letzten Nacht des Jahres muss geklärt sein, was fast vier Jahre lang nicht zu schaffen war. Das „natürliche Fristende“ für einen Handelspakt zwischen Großbritannien und der EU für die Zeit nach dem Brexit sei das Ende des Jahres, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Wochenende in Brüssel. Und sie versuchte, optimistisch zu bleiben: „Nach schwierigen Wochen mit sehr, sehr langsamen Fortschritten sehen wir jetzt mehr Fortschritt, mehr Bewegung bei wichtigen Punkten.“ Das mag stimmen, es gilt aber hauptsächlich für Nebenschauplätze – bei den zentralen Themen Fischerei, fairer Wettbewerb oder Streitschlichtung geht kaum etwas weiter. Dort wurden die roten Linien gezogen – auf beiden Seiten.
Heute ist einer der letzten Stichtage für eine halbwegs tragfähige Lösung, und auch er wird verstreichen: Würde ein Vertrag heute fixiert werden, ginge es sich gerade noch aus, die Rechtstexte in die anderen Sprachen zu übersetzen – eine zwingende Voraussetzung dafür, dass Verträge vom EU-Parlament oder auch von nationalen Parlamenten ratifiziert werden können. Oder die EU lässt es zu, dass über englische Rechtstexte abgestimmt wird. Doch nicht einmal dieser formale Fortgang ist klar, weil er davon abhängt, ob das, was von den Verhandlungen übrig bleibt, ein reiner Handelsvertrag ist. Derzeit schaut es danach aus, als wäre das das Maximum des Denkbaren.
Zu allem Übel gibt es im Brüsseler Verhandlungsteam nun wieder einen Covid-19-Fall, damit befinden sich die Gespräche neuerlich im beschwerlichen Online-Modus. EU-Spitzenbeamte bereiten sich inzwischen zähneknirschend darauf vor, selbst in den Weihnachtsfeiertagen noch zu verhandeln. Bis zur letzten Sekunde, damit wenigstens noch ein Rahmenabkommen zustande kommt. Weil die regulären Abläufe ohnehin nicht mehr zu schaffen sind, bereitet das EU-Parlament sicherheitshalber eine Sondersitzung für den 28. Dezember vor. Kommt kein Vertrag zustande, hätte das ab 1. Jänner weitreichende Folgen. Doch die EU, so heißt es, habe in ihrer Geschichte immer wieder überraschende Lösungen für verzwickte Probleme gefunden.