Es ist vollbracht: Großbritannien ist um Mitternacht aus der Europäischen Union ausgetreten. Bis in die Nacht auf Samstag hinein feierten mehr als 5000 Brexit-Befürworter vor dem Parlament in London den Abschied aus der Gemeinschaft, der ihr Land 47 Jahre lang angehört hatte. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU zeichnen sich harte Verhandlungen über die künftigen Beziehungen ab.
Britische Flaggen in Brüssel entfernt
Wegen des Brexit haben die EU-Institutionen britische Flaggen entfernt. Im großen Ratsgebäude in Brüssel holten zwei Mitarbeiter den Union Jack kurz vor dem britischen EU-Austritt in der Nacht auf Samstag ohne großes Zeremoniell aus der Reihe der Fahnen der bisher 28 EU-Länder und trugen sie davon.
Bis Ende des Jahres bleibt Großbritannien noch in einer Übergangsphase, während der sich praktisch kaum etwas ändert. So lange haben beide Seiten Zeit, sich zu einigen, sonst droht wieder ein harter Bruch mit schweren Folgen für die Wirtschaft. Die Frist ist allerdings sehr knapp bemessen. Eine Verlängerungsoption, die noch bis Juli offensteht, lehnt Premierminister Boris Johnson kategorisch ab.
Ob in dieser Zeit ein Abkommen erreicht werden kann, ist fraglich, zumal sich beide Seiten hart geben. "Wir werden sehr fair verhandeln, aber sehr hart", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Freitagabend dem ZDF. Die EU habe eine gute Ausgangsposition, weil sie bisher Absatzmarkt für fast die Hälfte aller britischen Exporte sei. Großbritannien habe großes Interesse am Zugang zu diesem Markt.
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"Vereinbarungen nur im Paket"
Von der Leyen stellte auch klar, dass die EU alle strittigen Punkte bei den künftigen Beziehungen nur im Paket vereinbaren will. Dazu gehören nicht nur die Handelsbeziehungen, sondern zum Beispiel auch Fischereirechte oder die Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen. "Erst wenn alles durchverhandelt ist, machen wir den Sack zu und eine Unterschrift drunter, es gibt keine Rosinenpickerei vorher." In einigen Punkten sei die EU ganz klar im Vorteil, etwa beim Finanzsektor. Unterm Strich sei die EU in einer sehr starken Position.
Freihandelsabkommen nach Vorbild Kanadas
Johnson will mit der EU ein Freihandelsabkommen nach dem Vorbild Kanadas aushandeln und damit die Notwendigkeit von Zöllen und mengenmäßigen Beschränkungen weitgehend eliminieren. Doch Brüssel verlangt im Gegenzug einheitliche Standards für Umweltschutz, Arbeitnehmerrechte und staatliche Wirtschaftshilfen. Das kommt für Johnson nicht infrage. Souveränität steht über reibungslosem Handel, so lautet nach Angaben des "Telegraph" das Credo des Premierministers. Am Montag will er sich in einer Rede zu seinen Verhandlungszielen äußern. Auch die EU-Kommission will dann ihre Vorschläge für ein Verhandlungsmandat vorlegen.
"Wenn wir am Ende des Jahres keinen Vertrag fertig haben, dann wird es für die britische Wirtschaft sehr schwer, ihre Waren rüber zu liefern, zu uns zum europäischen Markt", warnte von der Leyen im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Dann wäre Großbritannien nur "wie irgendein Drittland".
Doch auch europäische Unternehmen dürfte ein Scheitern der Gespräche teuer zu stehen kommen. Wie der "Telegraph" berichtete, plant die britische Regierung nun doch, vollständige Kontrollen für EU-Waren einzuführen, sollte kein Abkommen zustande kommen. Bisher hatte es immer geheißen, Großbritannien werde selbst im Fall eines No Deal auf Kontrollen verzichten, um Verzögerungen in der Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu vermeiden.
Die Brexit-Befürworter in London stimmten patriotische Lieder an, schwenkten britische Fahnen, ließen Feuerwerksraketen aufsteigen und Sektkorken knallen. "Wir sind frei", sagte der 53-jährige Tony Williams. "Das ist ein fantastischer Tag." Nigel Farage, einer der prominentesten Brexit-Verfechter, rief der Menge zu, dies sei der wichtigste Moment in der jüngeren Geschichte des Landes. "Der Krieg ist vorbei, wir haben gewonnen."
Keine sichtbaren Gegenproteste
Sichtbare Gegenproteste aus den Reihen der Millionen Briten, die im Juni 2016 beim Brexit-Referendum für einen Verbleib in der EU gestimmt hatten, gab es keine. Nur vereinzelt schienen sie sich zu zeigen, wie etwa der 75-jährige David Tucker, der nach eigenen Angaben extra aus Wales gekommen war. "Es ist eine Tragödie", sagte er. "Wir haben einst dem mächtigsten Wirtschaftsblock der Welt angehört. Jetzt sind wir nur eine nach innen blickende Insel, die kleiner werden wird."
Johnson feierte mit Sekt
Premierminister Johnson feierte im kleineren Kreise in seiner Residenz in der Downing Street mit englischem Sekt und einer ausgeprägt britischen Auswahl an Häppchen, darunter Shropshire-Blauschimmelkäse und Yorkshire-Pudding mit Rindfleisch und Kren. "Für viele Menschen ist dies ein erstaunlicher Moment der Hoffnung, ein Moment, von dem sie glaubten, dass er nie kommen würde", sagte er in einer Videobotschaft, deren Inhalt in Auszügen bereits zuvor veröffentlicht worden war. Er rief die Briten zur Einheit auf und sagte, dies sei die Gelegenheit zur "echten nationalen Erneuerung". "Wir wollen, dass dies der Beginn einer neuen Ära freundlicher Zusammenarbeit zwischen der EU und einem energiegeladenen Großbritannien wird."
Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon forderte unmittelbar nach dem Brexit wieder die Unabhängigkeit ihres Landesteils. "Schottland wird als unabhängiges Land ins Zentrum Europas zurückkehren", twitterte sie.