Zum dritten Mal tagte die „Europäische Politische Gemeinschaft“ (EPG), diesmal, geschuldet dem aktuellen Ratsvorsitzland Spanien, in Granada. Der malerische Ort wurde für „einen Tag zur Hauptstadt Europas und des Friedens“, wie es der spanische Premierminister Pedro Sánchez ausdrückte.
Nach dem Auftakt in Prag und dem bedeutungsvollen Treffen in Moldau bot die weltberühmte Alhambra die Kulisse für den Klub aus 47 europäischen Ländern; die EU-Staaten sowie alle anderen, von Andorra bis zur Schweiz, von der Türkei bis zum Vereinigten Königreich. Österreich wäre durch Kanzler Karl Nehammer vertreten gewesen, er musste wegen einer Erkrankung aber absagen.
Selenskyj warb um weitere Unterstützung
Auch diesmal waren zwei Länder ausdrücklich nicht auf der Gästeliste: Belarus und Russland. Stattdessen nahm, so wie schon in Moldau, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teil. Er nutzte die Gelegenheit weidlich, um bei den europäischen Staats- und Regierungschefs für weitere Unterstützung zu werben. Zumindest in einem Fall mit konkretem Erfolg: Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sagte Selenskyj für die Wintermonate ein weiteres Flugabwehrsystem vom Typ Patriot zu. „Das ist das, was jetzt am allermeisten notwendig ist“, so Scholz nach dem Treffen. Man müsse damit rechnen, dass Russland im Winter erneut versuchen werde, mit Angriffen Infrastruktur und Städte in der Ukraine zu bedrohen. Kurz davor war bekannt geworden, dass Scholz trotz eindringlicher Bitten der Ukraine vorerst keine Taurus-Marschflugkörper in das Kriegsgebiet liefern will.
Keine Pause für Russland
Selenskyj räumte ein, dass die Einheit Europas in Hinblick auf die Ukraine „die größte Herausforderung“ sei. Er forderte ein militärisches Abwehrschild für die Ukraine für den Winter. Die Ukraine-Hilfe der USA sei in der dortigen Vorwahlzeit schwierig geworden. Er warnte vor einem Waffenstillstand und einem Einfrieren des Konflikts – wenn Russland jetzt eine Pause bekomme, dann werde es spätestens 2028 sein bisher durch den Krieg verbrauchtes militärisches Potenzial wieder erlangt haben und dann „stark genug sein, andere Länder anzugreifen“.
Aserbaidschans Präsident kam nicht
An anderer Stelle konnte der Supergipfel keine Vermittlung erwirken. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew hatte seine Teilnahme an einem von der EU vermittelten Friedensgespräch im Berg-Karabach-Konflikt mit Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan in Spanien abgesagt. Alijew habe sich gewünscht, dass auch die Türkei als Aserbaidschans Verbündeter in dem Konflikt zwischen den beiden Ex-Sowjetrepubliken bei dem Treffen vertreten sein sollte. Aber Frankreich und Deutschland hätten sich dagegen ausgesprochen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sicherte Armenien die volle Unterstützung der EU zu. Sie wollte den armenischen Regierungschef Nikol Paschinjan in Granada zu einem bilateralen Gespräch treffen, um eine Verdopplung der EU-Hilfe auf rund zehn Millionen Euro anzukündigen. Einen kleine Hoffnungsschimmer gab es schließlich aber doch. EU-Ratspräsident Charles Michel kündigte Gespräche zwischen Armenien und Aserbaidschan zum Abbau der Spannungen an. Er wolle beide Staatenlenker bis Ende Oktober zu einem Treffen in Brüssel einladen, sagte Michel am Rande des Gipfeltreffens.
Keine Fortschritte im Kosovo-Konflikt
Doch auch beim zweiten Krisenherd, dem Kosovo-Konflikt, konnte der Supergipfel keine Wunder wirken, die Stimmung zwischen den Konfliktparteien blieb trotz 34 Grad Außentemperatur frostig. Vjosa Osmani, Präsidentin des Kosovo, forderte Sanktionen gegen Serbien, erst dann könne man wieder miteinander reden. Ihr Appell richtete sich im Speziellen an das Gastgeberland – Spanien ist einer von fünf EU-Staaten, die den Kosovo bisher nicht anerkannt haben.
„Politisches Speeddating“
Somit blieb die Zusammenkunft nahezu aller europäischen Länder auch im dritten Anlauf ohne unmittelbare Erfolgsmeldung, doch das dürfte auch nicht unbedingt die Absicht dahinter sein. Vielmehr zählen da die bilateralen Begegnungen von Staatenlenkern, die sonst nicht so leicht in entspannter Atmosphäre zusammengekommen wären. „Politisches Speeddating“ nannte das Steven Blockmans vom Center für Europäische Politikstudien (CEPS) gegenüber der „Deutschen Welle“. Ohne Tagesordnung, ohne Zwang, Erklärungen auszuhandeln und in lockeren Arbeitskreisen gebe es viele Möglichkeiten, sich zu treffen. Es ist nicht nur eine Demonstration der Stärke und der Einheit gegenüber Putin, es ist auch eine Gelegenheit, die EU mit den Nachbarn und Beitrittsanwärtern auf ansprechende Weise zu verbinden. Zuletzt hatte es mehrere Vorschläge – zum einen von Deutschland und Frankreich, aber auch von Österreich, Slowenien und Kroatien – für eine schrittweise Integration von Beitrittskandidaten gegeben. Auf dem Weg zum lange verteufelten „Europa der zwei Geschwindigkeiten“.
Andreas Lieb (Brüssel)