Klare Worte für Österreichs Blockade des Schengenbeitritts von Rumänien und Bulgarien fand Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Union in Straßburg: Die EU-Kommissionspräsidentin forderte einen Schengen-Beitritt "ohne weiteren Verzug". Beide Länder hätten bewiesen, dass sie die nötigen Bedingungen erfüllen, sagte sie bei ihrer Rede zur Lage der Union in Straßburg. Ihre Aufforderung dürfte sich vorrangig an Österreich richten, das den Beitritt der beiden Länder weiterhin blockiert.
Bundesregierung verweist auf Flüchtlingszahlen
Die Bundesregierung erklärt ihre ablehnende Haltung mit der hohen Zahlen an Flüchtlingen, die über diese Staaten in die EU gelangen würden. Von der Leyen meinte in ihrer Rede dagegen, dass man den Grenzschutz in der EU verstärkt habe. Bulgarien und Rumänien seien hier mit gutem Beispiel vorangegangen. Immer mehr Menschen würden durch Kriege, den Klimawandel und politische Instabilität aus ihrer Heimat vertrieben. Die Kommissionschefin appellierte in dem Kontext auch an das Europäische Parlament und den Europäischen Rat, bei der Reform der EU-Migrations- und Asylpolitik zu einer Einigung zu kommen. "Zeigen wir, dass Europa die Migration effizient und zugleich humanitär steuern kann." Noch nie sei man einem Abschluss der Verhandlungen zum EU-Migrationspakt so nah gewesen.
Einen besonderen Fokus legte von der Leyen auf die Bekämpfung von Schleppern. Sie forderte eine strengere Anwendung des Gesetzes sowie mehr Befugnisse für die Agenturen Europol, Eurojust und Frontex. Außerdem kündigte sie eine "internationale Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels" an. Die Kommissionschefin verteidigte auch das EU-Tunesien-Abkommen, das "beiden Seiten Nutzen bringe". Der Pakt sieht vor, dass Tunesien Migrantinnen und Migranten von der Überfahrt über das Mittelmeer abhält. Im Gegenzug wurden dem nordafrikanischen Staat Grenzschutzmittel in Höhe von 105 Mio. Euro in Aussicht gestellt. Jetzt wolle die Kommission auch mit anderen Staaten ähnliche Verträge verhandeln.
Die EU-Kommissionspräsidentin will Europas Wirtschaft fit für die Zukunft machen. Sie schlug bei ihrer vierten und womöglich letzten Rede zur Lage der Europäischen Union Mittwochfrüh in Straßburg mehrere Initiativen vor, um die Industrie bei der Dekarbonisierung zu unterstützen und die Rahmenbedingungen für die Unternehmen zu verbessern. Die anschließende Debatte im EU-Parlament war von Lob und Zustimmung gekennzeichnet.
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"Wir haben die Klima-Agenda zu einer wirtschaftlichen Agenda weiterentwickelt", sagte von der Leyen. Sie kündigte zudem eine Untersuchung an mit Blick auf unlauteren Wettbewerb bei Elektroautos aus China. Die E-Mobilität sei eine entscheidende Industrie für eine "saubere Wirtschaft". Die Weltmärkte würden nun aber von billigen chinesischen E-Autos "überschwemmt", deren Preis durch staatliche Subventionen gedrückt werde. Von der Leyen betonte aber, dass es wichtig sei, die Kommunikationskanäle nach China offen zu halten. Weiters werde die Kommission ein "Paket für die Windkraft in Europa" vorlegen. So sollen Genehmigungsverfahren beschleunigt werden, Auktionssysteme "in der gesamten EU" verbessert werden.
Sie unterstrich in ihrer Rede aber auch die Wichtigkeit, die Wirtschaft zu dekarbonisieren. Von der Leyen verwies auf Hitzewellen in ganz Europa, sowie Waldbrände und Überschwemmungen in Griechenland und Spanien. "Dies ist die Realität eines Planeten, der kocht", appellierte die Kommissionspräsidentin.
Um die drei großen Herausforderungen dieser Zeit - den Arbeitskräftemangel, die Wettbewerbsfähigkeit und die Rahmenbedingungen für Europas Unternehmen anzugehen - schlägt von der Leyen mehrere Initiativen vor. Sie habe den ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi - laut der Kommissionschefin einen der "größten Wirtschaftsexperten Europas" - gebeten, einen Bericht über die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit zu erstellen. Um den Arbeitsmarkt fit für die Zukunft zu machen, und den Fach- und Arbeitskräftemangel zu bekämpfen, will die Kommission im kommenden Jahr gemeinsam mit der belgischen Ratspräsidentschaft erneut einen Gipfel mit den Sozialpartnern in Val Duchesse einberufen.
Für die Wettbewerbsfähigkeit sind auch kritische Rohstoffe und der effiziente Einsatz der Künstlichen Intelligenz höchst relevant. "Aus diesem Grund werden wir noch in diesem Jahr das erste Treffen unseres neuen Clubs für kritische Rohstoffe einberufen", betonte von der Leyen. Gleichzeitig werde die Kommission auch weiterhin einen offenen und fairen Handel vorantreiben: "Wir sollten uns bemühen, bis Ende des Jahres auch mit Australien, Mexiko und dem Mercosur zu einem Abschluss zu gelangen." Auch die Zusammenarbeit mit Afrika soll verstärkt werden. Deshalb werde die Brüsseler Behörde zusammen mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell ein neues Strategiekonzept für den nächsten EU-AU-Gipfel vorlegen.
Auch Künstliche Intelligenz als Thema
Die Künstliche Intelligenz (KI) kann laut von der Leyen einiges verbessern. "Doch sollten wir auch die durchaus realen Gefahren nicht unterschätzen", warnte sie: "Unsere oberste Priorität ist es, sicherzustellen, dass sich die KI auf eine menschenzentrierte, transparente und verantwortungsvolle Weise entwickelt." Wichtig seien hier Supercomputer: "Deshalb kann ich heute eine neue Initiative ankündigen, KI-Start-ups unsere Hochleistungscomputer zur Verfügung zu stellen, um ihre Geschäftsmodelle zu erproben."
Die an die Rede anschließende Debatte mit den EU-Abgeordneten und weitere Reaktionen waren von Kritik und Zustimmung gekennzeichnet. Der spanische Außenminister Jose Manuel Albares Bueno betonte als Vertreter der spanischen Ratspräsidentschaft den "Einklang der Prioritäten" und den Willen zur "Zusammenarbeit für ein stärkeres Europa". Auch für Othmar Karas (ÖVP), erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, war die Rede "ein selbstbewusstes und mutiges Bekenntnis für eine zukunftsfitte Union! Die EU muss sich der ökonomischen und ökologischen Transformation offensiv stellen und dabei unabhängiger und wettbewerbsfähiger werden", erklärte er Twitter (X).
Sein Parteikollege, EVP-Vorsitzender Manfred Weber, appellierte in seiner Wortmeldung für eine "europäische Verteidigungsunion". Er betonte den Glauben seiner Partei an den Green Deal - aber auch die Unternehmen müssten Gehör finden.