Vielleicht nur eine kleine Atempause, vielleicht auch ein Zeichen der Deeskalation: Russland bekräftigte sein Interesse an einer diplomatischen Lösung im Ukraine-Konflikt. „Wenn es von Russland abhängt, dann wird es keinen Krieg geben“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. Er hält die aktuellen Vorschläge der USA für brauchbarer als jene der Nato. Die Dialogbereitschaft manifestierte sich umgehend in einer Reihe von Telefonaten. So führte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gestern Abend ein Gespräch mit Wladimir Putin – Macron sprach als aktueller Ratsvorsitzender auch für die EU, Putin erneuerte seine Vorwürfe. Außenminister Lawrow will mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock sprechen, in der nächsten Woche will er noch einmal mit US-Pendant Antony Blinken verhandeln.
Am Abend kam aus Moskau ein neuer Schuss vor den Bug: Russland verhängte Einreiseverbote gegen mehrere Vertreter der EU.
Der Westen versucht nach wie vor, Druck aufzubauen – im Zentrum steht die Gaspipeline „Nord Stream 2“. Auch hier gibt es Bewegung: Deutschland, das sich aus eigenem Interesse sehr zurückhaltend gezeigt hat, sieht das Aus der Pipeline zunehmend als Option. Der österreichische Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), zu Gast in Berlin, schwenkte darauf ein und sagte, Österreich würde das als Teil von Sanktionen mittragen – was im Rest Europas mit Erstaunen aufgenommen wurde, hatte sich Österreich doch bisher in dem Punkt eher widerwillig gezeigt. Später am Tag relativierte ein Sprecher Sobotkas die Aussagen, das Außenministerium betonte, es gebe keine Haltungsänderung.
Russland ist seit Jahrzehnten der größte Lieferant von Erdgas nach Europa und bis 2011 gab es vor allem zwei Transportwege: Die Pipeline Jamal durch Polen und die Transgas, die aus der Ukraine kommend ins österreichische Baumgarten führt. Da beide Staaten Transfergebühren verlangen, entstand schon in den 1990er Jahren die Idee, eine weitere Pipeline zu bauen, die Russland direkt mit Deutschland verbindet, und zwar durch die Ostsee. Ab 2006 wurde dann an Nord Stream gebaut. Schon von Beginn an stemmten sich osteuropäische EU-Staaten gegen das Projekt, allen voran Polen. Dennoch wurde der Bau durchgezogen. Aufgrund eines Streits um nicht bezahlte Rechnungen drehte Russland der Ukraine in den Wintern 2007/08 und 2008/09 den Gashahn zu, mit dramatischen Folgen für Europa. Im Jänner 2009 kam 90 Prozent weniger russisches Erdgas nach Österreich als üblich. Ein Warnsignal für Europa, das jedoch im Osten und Westen unterschiedlich interpretiert wurde. Die östlichen EU-Staaten sahen darin die Gefahr, dass Russland auch die EU mit Gaslieferungen erpressen könnte. Die westlichen EU-Staaten, allen voran Deutschland und Österreich, sahen vielmehr die Notwendigkeit, die Ukraine zu umgehen.
In der Folge gewann ein weiteres Pipeline-Projekt mehr an Bedeutung. Nabucco sollte Erdgas aus dem Kaspischen Meer über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn bis nach Österreich leiten. Von Beginn an war die teilstaatliche österreichische OMV mit an Bord, doch das Projekt scheiterte. 2018 wurde dann mit dem Bau der zweiten Pipeline „Nord Stream 2“ begonnen. Auch hier mischt die OMV mit und hat 730 Millionen Euro in das Projekt investiert. Die Ukraine sieht in der Pipeline eine Bedrohung, da Russland nicht mehr auf die Leitung durch die Ukraine angewiesen wäre. Und auch die USA haben keine Freude. Sie unterstützen die Ukraine politisch und militärisch. Doch es gibt auch handfeste wirtschaftliche Interessen. Die USA sind ein großer Exporteur von Flüssiggas. Fast 68 Milliarden Kubikmeter wurden alleine 2020 in riesigen Tankschiffen aus den US-Häfen in die ganze Welt verschifft. Das entspricht rund einem Fünftel des Erdgasbedarfs der EU. Für die USA ist Europa daher ein lukrativer Markt und Russland in dieser Hinsicht ein Konkurrent. Unter US-Präsident Donald Trump wurden sogar Sanktionen gegen Unternehmen verhängt, die am Bau beteiligt waren.
Russland drängt hingegen auf die Inbetriebnahme der Pipeline, die inzwischen fertig ist. Es fehlt derzeit nur noch die Genehmigung aus Deutschland.