Das Vertrauen in die Europäische Union hat laut einer Umfrage im Auftrag des Thinktanks "European Council on Foreign Relations" (ECFR) während der Corona-Pandemie stark nachgelassen. Überwiegende Mehrheiten in Frankreich (62 Prozent), Deutschland (55 Prozent), Italien (57 Prozent), Spanien (52 Prozent) und Österreich (51 Prozent) würden das europäische Projekt inzwischen für "gescheitert" halten, heißt es in einem am Mittwoch veröffentlichten ECFR-Bericht.
Der Bericht basiert auf einer Meinungsumfrage, die im März und April in Österreich, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Niederlande, Polen, Portugal, Spanien und Schweden durchgeführt wurde. In Österreich wurden dafür von 14. bis 29. April 1.027 Personen von dem Institut Dynata befragt.
In weiten Teilen Europas befindet sich laut der Umfrage das Vertrauen in die EU auf einem Tiefpunkt. In Deutschland, Frankreich, Italien, aber auch in Österreich, den Niederlanden und Bulgarien geben demnach die meisten Befragten an, dass ihr Vertrauen in die EU seit Beginn der Pandemie gesunken sei oder sich ihr ohnehin geringes Vertrauen nicht verändert habe. So sei in Deutschland die Zahl derer, die glauben, dass das politische System der EU "gescheitert" sei, über das vergangene Jahr um 11 Prozent gestiegen. In Österreich habe nur die Hälfte der Befragten angegeben, dass die EU-Systeme "gut funktionieren".
Trotzdem Rückhalt für die EU
Zugleich gebe es trotz der Schwierigkeiten im vergangenen Jahr in allen Ländern einen starken Rückhalt für eine EU-Mitgliedschaft - wobei sich viele eine stärkere Zusammenarbeit für den Aufbau der EU zu einem globalen Akteur wünschten, heißt es in dem Bericht weiter. Die Bevölkerung Österreichs sei geteilter Meinung über den Wert der EU-Mitgliedschaft, lediglich jeder Zweite (50 Prozent) halte sie für eine "gute Sache".
Das Vertrauen in die USA sei nach wie vor gering. Außerdem würden die Europäer die Türkei als größeren "Rivalen" oder "Gegner" als China oder Russland betrachten. In Österreich ist laut ECFR die ablehnende Haltung gegenüber der Türkei mit 60 Prozent besonders ausgeprägt. Eine härtere Gangart Brüssels gegen türkische Menschenrechtsverletzungen wünschen sich 66 Prozent der Österreicher, aber nur 47 Prozent der Österreicher fordern auch eine schärfere Kritik an Peking bei chinesischen Völkerrechtsverstößen. Über die Hälfte der Befragten in Österreich (53 Prozent) sehen laut der Umfrage Russland als "Verbündeten" oder "notwendigen Partner" im internationalen Geschehen. Etwa jeder fünfte Befragte in Österreich, Frankreich und Spanien sehe Großbritannien nach dem Brexit als "Rivalen" oder "Gegner".
Auch Amerika gescheitert
Mindestens die Hälfte der Befragten in den Niederlanden, Schweden, Deutschland, Österreich, Spanien, Frankreich und Portugal ist der Umfrage zufolge auch der Ansicht, dass das amerikanische politische System gescheitert ist. Über 40 Prozent der Befragten in Österreich, Deutschland, Dänemark und Frankreich sehen China als "Rivalen" oder "Gegner", heißt es weiter.
Die Umfrage zeigt nach Angaben des Thinktanks auch "eine tiefe Desillusionierung" der Bevölkerung in Europa über ihre jeweiligen nationalen politischen Strukturen. In Frankreich vertreten demnach zwei Drittel der Befragten (66 Prozent) die Ansicht, dass ihr nationales politisches System "nicht in Ordnung" sei. Auch in Italien (80 Prozent), Spanien (80 Prozent), Bulgarien (63 Prozent), Portugal (55 Prozent), Polen (60 Prozent) und Ungarn (54 Prozent) teilen demnach signifikante Mehrheiten diese Ansicht. In Österreich verhält es sich laut ECFR umgekehrt: 62 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr nationales politisches System "gut funktioniert".
Österreich und die anderen sogenannten "Sparsamen" (dazu zählt der ECFR Dänemark, die Niederlande, Deutschland und Schweden) sind laut dem Bericht die einzigen der befragten Länder, in denen die Menschen eine höhere Wertschätzung für das jeweilige nationale System zu Protokoll geben. 61 Prozent der Österreicher gaben demnach an, dass ihr nationales politisches System "gut funktioniert". Auch in Nettozahlerländern wie Österreich, Dänemark, Schweden und Italien gebe es große oder überwiegende Mehrheiten für die Rolle der EU als zentrale Ressource beim Wiederaufschwung nach der Pandemie.
In allen befragten EU-Mitgliedsstaaten gebe eine Mehrheit für eine einheitlichere Vorgehensweise der EU bei globalen Bedrohungen und Herausforderungen. Am ausgeprägtesten zeige sich dies in Portugal (91 Prozent), Spanien (80 Prozent), Italien (77 Prozent) und Polen (68 Prozent), am schwächsten in Schweden (51 Prozent). In Österreich befürworten laut ECFR 60 Prozent eine verstärkte EU-Zusammenarbeit.