Nicht so einig sind sich die EU-Mitgliedsstaaten, welches Land welchen Teil der Bürde zu tragen hat. In der Schlusserklärung des soeben abgehaltenen Sondergipfels heißt es schwammig, es solle weiter nationale Ziele geben, auch wenn "EU-weite sektorale Maßnahmen" eingezogen werden. Damit lässt man sich eine Tür offen, denn die Ausgangslage ist in den EU-Ländern völlig unterschiedlich. Vor allem die reicheren Länder sind in ihren Bemühungen schon recht weit und fühlen sich ungerecht behandelt, weil eine weitere massive Reduktion der Treibhausgasemissionen ungleich schwieriger (und somit auch teurer) ist als für jene (ärmeren) Länder, die noch weit im Rückstand sind. Die aber führen genau das ins Treffen: dass nämlich das Ziel von minus 55 Prozent für sie einfach nicht zu schaffen sei.
Zunächst liegt der Ball jetzt wieder einmal bei der Kommission. Ursula von der Leyen und ihre Leute planen am 15. Juli eine große Klimashow unter dem Motto „Fit for 55“ – es soll ein ganzes Paket an Gesetzen vorgelegt werden, die das Klimaziel minus 55 Prozent Treibhausgasemission bis 2030 einzementiert. Schon jetzt bricht der bekannte Graben zwischen West und Ost, zwischen reich und arm, weiter auf. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel stellte in Brüssel klar: "Deutschland ist in Vorleistung getreten, wir haben unsere nationalen Ziele verschärft und wollen Klimaneutralität bereits bis 2045 erreichen." Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sprach mehrere Warnungen aus, etwa vor einer Neubelebung der – CO2-freien – Atomenergie: "Wir müssen verhindern, dass die Reduktion von CO2-Emissionen in Europa dazu führt, dass jetzt mehr und mehr wieder auf Atomkraft gesetzt wird", betonte Kurz. "Das wäre ein Schuss ins Knie." Österreich unterstütze die "ambitionierten" Klimaziele. Aber "alle Mitgliedstaaten sollten einen Beitrag leisten", forderte Kurz. Diese Position hätten mehrere Staaten unterstützt. "Wir haben dafür gekämpft, dass es für die Klimaziele nicht nur das BIP pro Kopf alleine ausschlaggebend ist, sondern dass es eine faire Lastenverteilung innerhalb der Europäischen Union braucht", ergänzte er. Es sei gelungen, dass es keine Festlegung in die andere Richtung gab.
Kurz mahnte mit Blick auf den Brenner erneut ein, dass im Falle Österreichs der Transitverkehr berücksichtigt wird, und kritisiert, dass es immer noch billiger sei, durch Österreich zu fahren als etwa über die Schweiz. Auch müssten "alle Debatten zum Klimaschutz" gleichzeitig mit der Frage geführt werden, "wie schaffen wir es die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten".
In die selbe Kerbe schlägt natürlich auch Angelika Winzig, ÖVP-Delegationsleiterin im EU-Parlament: „Wir bekennen uns zu einem klimaneutralen Europa bis 2050. In Österreich möchten wir dieses Ziel bereits 2040 erreichen, dabei reicht es aber nicht aus, die Lastenverteilung rein an der Wirtschaftsleistung zu orientieren.“ Vorleistungen beim bereits bestehenden Anteil an erneuerbaren Energiequellen und anderen Klimaschutzmaßnahmen sind ein wichtiger Bestandteil eines sinnvollen Verteilungsschlüssels, dazu müsste noch ein „Bonus“ für Atomenergiefreie Staaten kommen.
Die einen sind weit voran, die anderen weit hinten
Das Grundproblem: Vor allem die reicheren Industrieländer sind einerseits von massiven wirtschaftlichen Herausforderungen betroffen (Stichwort Autoindustrie), haben andererseits aber schon bisher hohe Summen in Umweltschutz investiert. Die ärmeren Länder im Osten sind da weit nachlässiger gewesen und sagen entweder, dass sie die Umstellung deshalb in der kurzen Zeit auf keinen Fall schaffen (etwa Tschechien und Bulgarien) oder aber vertrauen auf Milliardenhilfe durch die EU, die zum Teil über den „Green Deal“ bereits zugesichert ist – was wiederum jenen Ländern ein Dorn im Auge ist, die die Belastung bisher selbst getragen haben.
Am Rande des Gipfels war zu vernehmen, dass die Kommission eine Reihe von Szenarien durchspielt, dazu gehört auch die Idee, den Emissionshandel von der Industrie auf Gebäude und Verkehr auszuweiten. Das würde ohnehin gut zum „Green Deal“ passen, in dessen Rahmen die Kommission kürzlich erst ihr riesiges „Bauhaus-Projekt“ vorstellte, das die Sanierung und Isolierung Hunderttausender Wohnhäuser zum Ziel hat. Am Ende steht die Möglichkeit, dass jene, die auf die neuen Umweltvorgaben pfeifen, tiefer in die Tasche greifen müssen.
Schließlich müssen sich die EU-Länder auch noch mit der Kritik herumschlagen, dass die teuren Umweltmaßnahmen global nicht viel nützen, wenn die anderen Kontinente nicht mitziehen – das gilt besonders in Hinblick auf China. Deshalb findet sich auch dieser Satz in der Schlusserklärung: „Die EU begrüßt das neuerliche Bekenntnis der Vereinigten Staaten zum Übereinkommen von Paris. Die EU unterstreicht ihre Bereitschaft, die globale Dynamik zu nutzen, und ruft ihre internationalen Partner – insbesondere die Mitglieder der G20 – auf, ihr Ambitionsniveau im Vorfeld der COP 26 in Glasgow zu erhöhen.“