Kein Tag, an dem in den Brüsseler Institutionen nicht verhandelt wird. In Ausschüssen, Arbeitsgruppen, Trilogen bis hin zu den EU-Gipfeln wird permanent gefeilscht, in 24 Amtssprachen und mit nationalen Befindlichkeiten von 27 Mitgliedsländern. Jedem ist klar, dass man mit Maximalforderungen in eine Besprechung geht, deren Ergebnis in den meisten Fällen der kleinste gemeinsame Nenner ist. Und es ist auch jedem klar, dass die jeweilige innenpolitische Situation eines Landes eine wichtige Rolle spielt, wenn es um den großen Auftritt auf der EU-Bühne geht. Nicht zuletzt gefällt sich so mancher der Staats- und Regierungschefs in der Rolle des „Enfant terrible“ – durchaus mit gelegentlichem katalytischen Effekt, um das große Ganze voranzubringen.
Verhältnismäßig neu ist, dass der Schwarze Peter bei Österreich landet. Als Bundeskanzler Sebastian Kurz sich zum Fürsprecher jener Länder machte, die durch ihre Impfbestellungen zu Nachzüglern wurden, fand zwar die Problematik an sich Gehör – doch die Art und Weise, wie mit Vorwürfen agiert wurde und wie Österreich, das derzeit bei den Impfungen im Spitzenfeld liegt, sich selbst in die Opferrolle drängte, stieß im Rat, in der Kommission (die sich zu Unrecht in einen Länderstreit hineingezogen sah) und bei einem Gutteil der Länder auf Ablehnung. Als auch noch der Eindruck entstand, Österreich wolle überhaupt die Aktivierung der Option auf 100 Millionen zusätzliche Impfdosen für alle davon abhängig machen, ob es selbst mehr vom Kuchen bekommt (das Bundeskanzleramt bestreitet das, inzwischen weiß man auch, dass das technisch nicht möglich ist und die Kommission hat die Option mittlerweile unterschrieben), war die Stimmung endgültig im Keller. Oder, wie es ein hoher EU-Diplomat ausdrückt: „Die Fanfaren der Europahymne gehen nicht gerade los, wenn Österreich den Saal betritt.“
Am Mittwoch kamen die Verhandlungen der Botschafter zu keinem Ende, sie gehen heute weiter. Der jüngste Vorschlag sieht vor, dass drei von zehn Millionen Ausgleichs-Impfdosen an die Nachzüglerländer gehen, zu denen Österreich nicht gezählt wird. Der Rest würde nach dem Pro-rata-Prinzip auf die anderen aufgeteilt – Österreich bekäme exakt 139.170 Dosen. Zugespitzt: Hätte Kurz nicht auf einen Korrekturmechanismus gedrängt, würden uns 200.000 Dosen zufallen
Hättiwari, der österreichische Nationalheilige: Am Ende des Tages wird sich zeigen, wie die Sache ausgeht. Die Impfdelle, in in Österreich durch die suboptimale Impfstoffbestellung entstehen kann, wird sich den Berechnungen nach erst am Ende des zweiten Quartals zeigen; die "Korrekturimpfdosen" gibt es aber nur jetzt, und jetzt ist die Argumentation schwierig.
Und es gibt eine Doppelmühle: Manche meinen, den Nachzüglern müsste, wenn schon, denn schon, noch mehr geholfen werden, etwa mit vier statt drei Millionen. Ist die Alpenrepublik weiterhin nicht auf der Liste dieser Ländergruppe, für die der Kanzler sich einsetzt, wird mit jeder Erhöhung dort die Menge, die für Österreich übrig bleibt, kleiner. Der Geist der europäischen Solidarität, der hier beschworen wird, muss sich aber erst manifestieren.