Beispiel für den Rotstift sei das ambitionierte Forschungsprogramm. Man müsse aber auch relativieren können, schränkt Budgetkommissar Johannes Hahn in einer kleinen Journalistenrunde im Kommissionsgebäude ein – im Konferenzsaal „Walter Hallstein“, in dem mittlerweile die Sitzungen der Kommissare stattfinden, weil er gute Gelegenheit zum Distanzieren bietet. Immerhin hätten die Staats- und Regierungschefs trotzdem in Rekordzeit einen weitreichenden Beschluss gefasst.
Das mit der Forschung schmerzt, obwohl ja eigentlich die Kürzung darin besteht, dass die hoch angesetzten Summen gestutzt wurden; es seien gesamteuropäische Vorhaben unabdingbar. Weltspitzenforschung sei das Ergebnis von Teamarbeit über die Nationen hinweg. Völlig ausweglos sei die Sache immerhin nicht, es gebe ja noch die Recovery- und Resiliance-Fazilität, wo die politischen Schwerpunkte (Green Deal, Nachhaltigkeit) verfolgt werden können. Ein wenig umständlich zwar, aber immerhin. Und 30 Prozent der Ausgaben sollen sowieso klimarelevant sein: „Da reden wir von schlanken 600 Milliarden.“
Die Architektur der Kommission habe am Gipfel ihre Bestätigung gefunden, es sei die Gesamthöhe übrig geblieben. Selbst die Reduzierung der Zuschüsse von 500 auf 390 Milliarden sei so gesehen akzeptabel: „Die Frugalen haben zuerst gesagt null, jetzt sind es fast 80 Prozent.“ Bei der Rückzahlung herrsche klare Übereinkunft, dass es Zeit für neue Einkunftsquellen sei. Bis spätestens Mitte nächsten Jahres soll die Kommission einen durchdeklinierten Vorschlag vorlegen, welche Art von Quellen denkbar sind, mit welchen Erlösen zu rechnen ist und wie das zu den Rückzahlungsregelungen passt. Herausforderung: Die Anleihen haben ein konkretes Rückzahlungsziel, jede nachträgliche Änderung verursacht Kosten. Hahn: „All das ist eine ungewöhnliche Antwort auf eine außergewöhnliche Herausforderung.“
Nach Angaben des Budgetkommissars müsse man für heuer mit einem Wirtschaftseinbruch von weit über acht Prozent rechnen, der Aufschwung im kommenden Jahr könnte im Bereich von sechs Prozent liegen: „Wir sind Ende 2021 noch immer nicht da, wo wir 2019 waren.“
Es sei verständlich, dass das EU-Parlament seine Rolle haben möchte, wenn es um die Verteilung der Mittel gehe. Da soll es eine interinstitutionelle Regelung geben. Bis Ende September sollte die Einigung mit dem Rat erfolgen, danach sind Ratifizierungen in den 27 Mitgliedsländern nötig. Hahn: „Ein üblicher Ratifizierungsprozess dauert zwei Jahre, manchmal ein Jahr – jetzt brauchen wir eine besonders schnelle Entscheidung.“ Dieser „ersten Welle“ an Ratifizierungen werden noch weitere folgen. Auch dann, wenn es einen Beschluss über neue Einkunftsquellen gibt, sind neue Ratifizierungen erforderlich. Alle Eigenmittel sollen übrigens im Paket abgehandelt werden; fix ist vorerst die Plastiksteuer im kommenden Jahr, hier rechnet man mit jährlichen Einnahmen von 5,7 Milliarden Euro.
Die Kontrolle der Mittelvergabe sei auf einem guten Weg. Und: in der Krise liege auch eine Chance. Seit 2014 gebe es in der EU einen Rückstau bei den Nettoinvestitionen, das würde sich nun ändern. Das Thema Rechtsstaatlichkeit sei besonders zu beachten. Hahn: „Wenn man den Wortmeldungen der zurückkehrenden Gipfelteilnehmer folgt kommt man zum Schluss, die waren bei unterschiedlichen Veranstaltungen.“ Aus seiner Sicht sei entscheidend, was auf dem Papier stehe und danach Gesetzeskraft erlange. Die Kommission habe schon 2018 einen Entwurf vorgelegt.
Mehr als bisher, weniger als geplant
Basierend auf den 2018er-Preisen – die werden verwendet, um besser vergleichen zu können – wären in der aktuellen Periode für das Programm „Horizon“ 65,5 Milliarden Euro vorgesehen, in der künftigen Periode werden das 80,9 Milliarden sein. Man habe dennoch mehr im Auge gehabt.
Was die Gruppe der „Frugalen“ betrifft, rechnet Hahn damit, dass sie in Zukunft öfter in Erscheinung tritt; er zieht einen Vergleich mit der Visegrad-Gruppe, die sich ebenfalls gefunden habe, um gemeinsame Interessen zu vertreten. Vielleicht, so Hahn, könne das Entscheidungen in Zukunft sogar beschleunigen.
Befragt zum umstrittenen Thema Rechtsstaatlichkeit, präzisiert der Kommissar, dass es aktuell nicht um Artikel-7-Verfahren gehe, die derzeit ja gegen Polen und Ungarn laufen, sondern um das „Rule of law“ im Artikel 2. Dabei gehe es um Probleme bei den Geldflüssen, als Beispiel nannte er Mehrwertsteuerbetrug und den Verdacht auf korrupte Justiz. Es werde nun bei den Verhandlungen zwischen Rat und Parlament auch um eine Klarstellung gehen müssen, wie und unter welchen Bedingungen der Mechanismus ausgelöst werden kann. Ganz am Ende könnte auch der EuGH als Instanz stehen.
Wie viel genau - und für wen?
Johannes Hahn wäre es am liebsten, die Rückzahlungen für die nun aufgenommenen Gelder würden so rasch wie möglich beginnen, etwa 2027. Bis Mitte nächsten Jahres soll ein Procedere erarbeitet werden, dann startet die konkrete Umsetzung – je länger das braucht, desto später kann Geld fließen. Unklar ist noch im Detail, welches Land wie viel bekommt. Laut einem Bericht der „Welt“ vom Donnerstag können nach den Entscheidungen des Gipfels über die Vergabemodalitäten ausgerechnet Deutschland und Frankreich mit weit mehr Zuschüssen aus dem Aufbauplan rechnen, als von der Kommission vorgeschlagen. Nach einer Analyse der Brüsseler Denkfabrik Bruegel könne Deutschland demnach mit 47,2 Milliarden statt 33,8 Milliarden Euro rechnen. Für Österreich seien es nur 3,17 statt ursprünglich 4,79 Milliarden.
Die Niederlande erhalten den Informationen zufolge 6,4 statt 8,9 Milliarden Euro an Zuschüssen aus dem "Next Generation EU" genannten Recovery Instrument. Bei Frankreich betrage hingegen der Anstieg 7,4 Milliarden auf 50,7 Milliarden Euro.
Johannes Hahn verwies darauf, dass die Kommission ausschließlich Zahlen verwendet habe, die verifiziert sind. Das waren „alte“ Eurostat-Daten, die bei den Mitgliedsländern auf Widerstand stießen. Der neue Modus mit einer 70/30-Regelung (zunächst die Kommissionsformel, dann die neuen Zahlen) enthält aber große Unbekannte, nämlich die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeitslosenzahlen – das könnte den großen Ländern mehr einbringen. Genauer kennt man die Beträge aber wohl erst Ende 2022, darum ließen sich diese Allokationskriterien auch nicht detaillierter auswerten. Die ursprünglich angedachte Brückenfinanzierung wurde vom Gipfel nicht übernommen, weil die Mitgliedsstaaten sonst heuer noch beitragen müssten. Dafür läuft etwa „React EU“ schon ab Jahresbeginn 2020.
Österreichs Nettobeitrag
Wegen der Unwägbarkeiten der kommenden Jahre ist auch Österreichs exakter Beitrag noch nicht wirklich zu ermitteln. Abgerechnet wird dann ohnehin erst Jahre später, wenn die Daten wieder vorliegen. Der österreichische Bruttobeitrag zum EU-Budget - ohne Aufbaufonds - wird sich nach Berechnungen des Finanzministeriums in der kommenden Periode von 2021 bis 2027 im Durchschnitt auf 3,8 Milliarden jährlich erhöhen. In Summe seien dies künftig 400 Millionen Euro pro Jahr mehr als im Jahr 2020, hieß es. Der österreichische EU-Beitrag im Jahr 2020 beträgt demnach 3,3 Milliarden Euro, weitere 100 Millionen Euro zahle Österreich an den Europäischen Entwicklungsfonds, der derzeit außerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) geführt wird. Weil der nächste MFR auch den EU-Entwicklungsfonds umfasst, ergibt sich laut Finanzministerium der Betrag von 3,8 Milliarden im Durchschnitt und eine Differenz von 400 Millionen Euro jährlich.
Keine Auskunft gibt das Finanzministerium zur Höhe der erwarteten Rückflüsse aus dem EU-Budget. Nettobeiträge ließen sich derzeit noch nicht abschätzen, sie werden von der Kommission erst einige Jahre im Nachhinein veröffentlicht, hieß es. 2018 wies Österreich laut dem aktuellsten verfügbaren Finanzbericht der EU-Kommission einen Nettobeitrag - Bruttobeitrag minus Rückflüsse - von 1,3465 Milliarden Euro auf.
Dämpfend auf den künftigen EU-Beitrag wirken auch die Rabatte, die Österreich und andere Nettozahler beim EU-Gipfel herausgeholt haben. Dieser wird über die gesamte Budgetperiode für Österreich 565 Millionen Euro pro Jahr betragen. In der Vergangenheit sei das Rabattsystem sehr intransparent gewesen, hieß es am Donnerstag. Die Mitgliedsstaaten hätten für Rabatte anderer Staaten mitgezahlt, wodurch es zu jährlichen Schwankungen bei den Rabatten und den daraus resultierenden Ergebnissen gekommen sei. Da Österreich weiter auch für andere EU-Länder Rabatte mitfinanzieren muss, rechnet das Finanzministerium mit einem Nettorabatt von 350 Millionen Euro pro Jahr.
Was nun passiert
Auf die Kommission und die anderen Behörden in Brüssel kommt jedenfalls einiges zu. Allein die Abwicklung und Beurteilung der Hilfsprogramme führt zu gröberen Personaleinsätzen, das wird die wirkliche Herausforderung, meint Johannes Hahn – die task forces formieren sich bereits.