Für Sebastian Kurz war es letzten Endes eine Rechnung, die glatt aufging. Die Gruppe der „Frugalen“ hatte dem EU-Sondergipfel von Beginn an den Stempel aufgedrückt. Ein Bündnis aus vier Mitgliedsländern – Österreich, Schweden, Niederlande, Dänemark –, denen in den letzten Stunden des Gipfels auch Finnland Gesellschaft leistete, hatten sich erstmals als Machtfaktor in der EU etabliert und zäh verhandelt. Die angeblich durchaus gefinkelten Versuche, die Vier auseinanderzudividieren, klappten nicht. Am Ende, als Ratspräsident Charles Michel am Dienstag um 5.31 Uhr in der Früh das Wort „Deal!“ twitterte, hatten sie fast alles erreicht, was sie wollten und damit sogar die mächtige Achse Merkel-Macron ausgebootet. Österreich bekommt einen saftigen Jahresrabatt von 565 Millionen Euro und die Höhe der Zuschüsse wurde trotz heftigen Widerstands auf 390 Milliarden Euro gedrückt.
In den langen Gipfelnächten war trotz aller zur Schau gestellten Freundlichkeit der Ton schon sehr rau geworden im Ratsgebäude. Einerseits, weil der stets lächelnde und charmant wirkende niederländische Premier Mark Rutte kein Jota von seinem „Veto“-Kurs bei der Mittelvergabe abwich. Zum anderen lag es am österreichischen Kanzler, der selbst dann noch nicht nachgab, als schon das große Ganze ins Wanken geraten war.
Mit dem 1074 Milliarden großen Finanzrahmen und dem 750 Milliarden schweren Hilfspaket kam am Ende ein Kompromiss heraus, der sich als teuer erkauft herausstellen könnte. Der Mehrwert des Paketes bestehe in Zuschüssen, sagte der EU-Experte Stefan Lehne im APA-Interview, die Kürzung sei „bedauerlich“. Kurz hatte in Hinblick auf die schwer getroffenen südlichen Nachbarn von „kaputten Systemen“ gesprochen und sich Empörung eingehandelt. Der Gipfel befasste sich vor allem mit Geld und nur am Rande mit den europäischen Werten. Rutte und Kurz sammelten ihre Geschenke ein. In Europa beginnt sich eine neue Politikergeneration zu etablieren.
Frage und Antwort: Der Gipfel und die Beschlüsse
1 Gehört Österreich nun zu den großen Gewinnern des Deals oder stimmt das Bild nicht?
Österreich konnte in wesentlichen Bereichen seine Vorstellungen umsetzen, das betrifft vor allem die finanzielle Seite. Allerdings sind viele der nun genannten Zahlen in Relationen zu setzen.
2 Aber es wurden doch die Zuschüsse reduziert und wir bekommen einen tollen Rabatt?
Das stimmt: Statt wie geplant 500 Milliarden Euro an „geschenktem“ Geld gibt es nur 390 Milliarden und aus dem für Österreich vorgesehenen jährlichen Rabatt von 137 Millionen wurden nun 565 Millionen, auch die Agrargelder, die ursprünglich deutlich reduziert worden wären, erhöhen sich stattdessen sogar. Allerdings heißt die Reduktion der Zuschüsse, dass auch Österreich selbst weniger Geld aus dem Topf erhält. Kritiker monieren, dass die Reduktion von Hilfsmitteln generell nicht als Erfolg gesehen werden könne, da es ja um den Wiederaufbau der Wirtschaft gehe. Noch komplizierter ist das bei den Rabatten: Die EU-Kommission wollte damit überhaupt aufhören. Tatsächlich dürfte von den 565 Millionen etwa die Hälfte übrig bleiben, da Österreich als Nettozahler ja auch die Rabatte der anderen Länder (die Niederlande bekommen zum Beispiel 1,9 Milliarden jährlich, Schweden 1,07 Milliarden) mitzahlen muss.
3 Der langjährige Finanzrahmen wurde leicht reduziert – zahlen wir in Zukunft nun mehr oder weniger ein?
Wie man es auch dreht und wendet: es wird in Zukunft mehr sein. Einerseits wegen der ganz normalen Inflation, andererseits ist der normale Finanzrahmen trotz des Abgangs der Briten etwas höher als der alte angesetzt. Die Berechnungen laufen wegen der Coronakrise inzwischen nicht mehr in Prozent der Wirtschaftsleistung – dem bisherigen Mantra –, sondern in realen Zahlen, weil sich derzeit beim besten Willen nicht genau abschätzen lässt, wie sich die Wirtschaft in naher und ferner Zukunft entwickelt. Getrickst wird gerne damit, dass einmal die fixen Zahlen von 2018 als Basis genommen werden (das ist wegen der Vergleichbarkeit eigentlich in Ordnung), auf der anderen Seite aber nach Bedarf die aktuellen oder die prognostizierten (also meist höheren) Zahlen.
4 Haben wir nun also doch die ständig befürchtete Vergemeinschaftung der Schulden?
Nein. Erstens, weil der Wiederaufbaufonds tatsächlich zweckgebunden und zeitlich begrenzt ist. Zweitens ist es Teil des nun geschlossenen Deals, dass die Vergabe der Zuschüsse streng an die Vorgaben geknüpft ist – soferne das auch tatsächlich eingehalten wird. Drittens haftet jedes Mitgliedsland nur anteilig – Deutschland etwa mit einem rund zehnmal höheren Betrag als Österreich.
5 Und das soll der Steuerzahler finanzieren?
Wenn es nach den Plänen der Mitgliedsländer geht, eigentlich nicht. Ein wesentlicher Punkt, auf den besonders die Kommission gepocht hat, ist die Einführung neuer Eigenmittel. Eine Steuer auf nicht recyclebaren Plastikmüll soll bereits mit Jahreswechsel kommen, überlegt wird eine Digitalsteuer, ein Ausbau des Emissionshandels, eine CO2-Grenzsteuer oder eine Finanztransaktionssteuer. Wer die bisherigen Bemühungen und Streitereien um solche Geldquellen verfolgt hat, ahnt, dass es sich hier um Fantasiegebilde handelt – es sei denn, die EU-Länder reißen sich doch zusammen und arbeiten daran.
6 Was ist mit den politischen Plänen, die hinter dem Deal stehen?
Hier schaut es nicht so gut aus. Zwar steht immer noch der „grüne Deal“ ganz oben, aber die langen Verhandlungen brachten Abstriche mit sich, etwa beim Klimafonds, beim Gesundheitsfonds oder bei Zukunftsthemen wie Forschung und Innovation. Die Berechnungen sind nicht einfach, weil ein Teil der Abzüge im Finanzrahmen über Positionen aus dem Recoveryfonds wieder ausgeglichen werden sollen. So zeigte sich Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP) gestern sehr zufrieden: „Das Forschungsrahmenprogramm Horizon und das Mobilitätsprogramm Erasmus+ sind zwei Bereiche, bei denen Österreich überproportional profitiert hat.“ In beiden gebe es nun ein Plus. Als sehr verwaschen wird von vielen jedoch der Punkt Rechtsstaatlichkeit beschrieben, um den besonders hart gekämpft wurde.
7 Werden die „sparsamen Vier“ weiter zusammenarbeiten?
Laut Kanzler Sebastian Kurz auf alle Fälle, die Gruppe habe innerhalb der EU eine Stärke entwickelt. Die Frage ist, ob die Länder aber über die Finanzen hinaus gemeinsame Interessen entwickeln können.
8 Wie lange muss zurückgezahlt werden?
Geplant ist das bis 2058 – wenn sich die Wirtschaft erholt, sollte es früher gehen.
9 Ist damit jetzt alles erledigt?
Nein, denn zuerst muss das EU-Parlament zustimmen (am Donnerstag) – trotz vieler kritischer Stimmen dürfte das durchgehen, das Parlament will wohl nicht schuld daran sein, dass das Hilfspaket jetzt noch platzt. Dann muss es auch noch durch alle nationalen Parlamente, was aber als Formsache gilt.