19.29: Noch größerer Rabatt für Österreich
Aus Diplomatenkreisen sickerte nun durch, dass im neuen Vorschlag, den Ratspräsident Charles Michel soeben den Gipfelteilnehmern vorgelegt hat, ein noch weitaus größerer Rabatt als bisher für Österreich enthalten ist. Statt ursprünglich 137 Millionen Euro soll er sich vervierfachen und auf 565 Millionen Euro jährlich steigen.
Michel legte gegenüber früheren Entwürfen (237 bzw. 287 Mio.) auch noch einmal nach. Auch für andere Nettozahler erhöhte der EU-Ratschef die jährlichen Pauschalrabatte: So bekommen die Niederlande 1.921 Millionen Euro (bisher 1.576 Mio.), Schweden 1.069 Millionen Euro (bisher 823 Mio.) und Dänemark 322 Millionen Euro (bisher 222 Mio.). Für Deutschland bliebe der jährliche Rabatt unverändert gegenüber dem vorangegangenen Entwurf bei 3,671 Milliarden Euro. Ursprünglich wollte die EU-Kommission mit dem Brexit alle Rabatte abschaffen, auch das Europaparlament, das jeglicher Budgeteinigung zustimmen muss, fordert eine restlose Streichung.
19.15: Gesundheitsmilliarden flogen aus Coronafonds
Im EU-Fonds zum Wiederaufbau nach der Coronakrise ist ausgerechnet für Gesundheitsausgaben kein Platz mehr. Dies berichtet das Magazin "Politico" am Montagnachmittag unter Berufung auf aktualisierte Berechnungen, nachdem sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf Druck der "sparsamen" Nettozahler rund um die Niederlande und Österreich auf eine Verringerung der Zuschüsse im Fonds geeinigt haben.
Weil der Zuschussanteil von 500 auf 390 Milliarden Euro sinkt, wurde unter anderem das 7,7 Milliarden Euro schwere Gesundheitsprogramm aus dem Fonds geworfen. Auch Das Forschungsprogramm Horizon sollte um weitere fünf Milliarden Euro gekürzt werden, was insgesamt 8,5 Milliarden Euro weniger ist als im ursprünglichen Fonds. Der "Just Transition Fund", der Regionen beim Übergang zum ökologischen Wirtschaften helfen soll, verliert demnach 20 Milliarden Euro.
19.10: Michel präsentierte neuen Kompromissvorschlag
EU-Ratspräsident Charles Michel hat am Montagabend seinen seit Samstag erwarteten neuen Kompromissvorschlag im Streit um die EU-Finanzen vorgelegt.
Michel sagte, sein mittlerweile zweiter Kompromissvorschlag sei eine in intensiven Beratungen der Staats- und Regierungschefs entstandene "Gemeinschaftsarbeit". "Ich weiß, dass die letzten Schritte immer die schwierigsten sind, aber ich bin zuversichtlich und überzeugt, dass eine Einigung möglich ist."
Der EU-Aufbaufonds soll nunmehr 750 Milliarden Euro schwer sein, davon sollen 390 Milliarden Euro Zuschüsse sein. Diplomaten bestätigten am Montagabend, dass die Zuschüsse in Höhe von 390 Milliarden Euro in der "Verhandlungsbox" enthalten sind, die Michel dem Gipfelplenum in Brüssel vorlegen wollte.
Der Gipfel soll erneut über einen Rechtsstaats-Mechanismus im Zusammenhang mit Geldern aus dem EU-Budget beraten. Ungarn lehnt den Vorschlag von Ratspräsident Michel ab, wonach Gelder bei systematischen Defiziten der Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten werden können, wenn eine qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten dies unterstützt.
19.00: Finnische Regierungschefin bleibt "so lange es nötig ist"
Finnland hat seinen Willen zum Abschluss des 1,8 Billionen schweren EU-Finanzpaket beim Gipfel in Brüssel bekundet. "Ich hoffe, dass wir zu einer Einigung kommen können", sagte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin am Montagabend bei ihrer Ankunft im EU-Ratsgebäude. "Ich bin bereit, so lange zu bleiben wie es nötig ist."
Finnland war zuletzt wie Österreich Teil der sogenannten "Sparsamen"-Allianz von Ländern, die für einen geringeren Anteil an Zuschüssen im Recovery Fonds gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsvorschlag gekämpft haben und ein höheres EU
18.27: Die EU-Staaten haben sich diplomatischen Kreisen zufolge auf die Höhe der Zuschüsse bei den geplanten Coronavirus-Hilfen verständigt. Anstelle der von Deutschland und Frankreich geforderten 500 Milliarden Euro sollen, wie die "Sparsamen Vier" in einem Kompromissvorschlag verlangten, nur 390 Milliarden Euro bereitgestellt werden, bestätigten EU-Vertreter heute beim EU-Gipfel in Brüssel. Damit liegt ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zu einem Gipfelerfolg beseitigt.
18.22:Sloweniens Ministerpräsident Janez Janša befürchtet den Verlust aller EU-Fördermittel für sein Land, wenn ihre Ausschüttung an Rechtsstaats-Bedingungen geknüpft wird. Dies wäre nämlich der Fall, "wenn weiterhin die Gerichtsbarkeit missbraucht, Wahlen gestohlen werden, ungestraft Geld für Terroristen gewaschen wird, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ignoriert werden", twitterte Janša am Montag.
Der für kontroverse Äußerungen in sozialen Medien bekannte konservative Politiker replizierte damit auf die Kritik des Chefs der oppositionellen Linken, Luka Mesec, an der Haltung Janšas im Streit um die Rechtsstaats-Konditionalität im künftigen EU-Budget. "Er ist dagegen, weil dann auch er kein Geld mehr erhielte", hielt Mesec dem umstrittenen Regierungschef vor.
Polen und Ungarn stemmen sich gegen die neue Bedingung, weil sie in ihr ein politisches Druckmittel angesichts der laufenden EU-Sanktionsverfahren erkennen. Janša scheint die beiden Visegrad-Staaten zu unterstützen. In der Nacht auf Montag nahm er auch an Beratungen mit den vier Premiers der Visegrad-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) teil.
18.21: Nur noch wenige Stunden braucht es, dann haben die EU-Staats- und Regierungschefs einen Rekord gebrochen. Dienstagfrüh nach 4.26 Uhr können sie für sich reklamieren, den längsten Gipfel in der Geschichte der Europäischen Union geschafft zu haben.
Bisher ist der Gipfel zur EU-Vertragsreform im französischen Nizza im Jahr 2000 der längste in der EU-Geschichte. Er begann am 7. Dezember 2000 um 10.00 Uhr und endete nach Aufzeichnungen aus der APA-Datenbank mit einem Durchbruch in den frühen Morgenstunden des 11. Dezember 2000, dem fünften Gipfeltag.
Die APA meldete damals um 4.26 Uhr früh aus der Metropole an der Cote d'Azur die Einigung der EU-Chefs auf die Vertragsreform, welche die Union fit für die im Mai 2004 erfolgten Beitritte der ost- und mitteleuropäischen Staaten machte.
17.40:Brüssel-Insider sprechen von drei möglichen Szenarien, die im Zuge der zähen Verhandlungen passieren könnten:
- Fall 1: Entweder einigen sich die EU-Staats- und Regierungschefs endgültig auf die großen Linien des Paktes, wozu das Volumen und das Verhältnis von Zuschüssen und Krediten, ein Rechtsstaats-Mechanismus und die Ausgabenobergrenzen des mehrjährigen Finanzrahmens von 2021 bis 2027 zählen. Die weiteren Details könnten im ersten Fall zur Ausarbeitung an die Finanzminister oder an Expertengremien delegiert werden.
- Fall 2: Im zweiten Fall wäre aber noch ein weiterer Gipfel in ein bis zwei Wochen nötig, nämlich dann, wenn über die Interpretation der sogenannten "Verhandlungsbox", die Michel am Montag vorlegen will, noch weitere politische Differenzen bestehen.
- Fall 3: Im ungünstigsten dritten Fall - so rechnen Insider - würden sich die Staats- und Regierungschefs wieder in zahlreichen Einzelfragen verlieren und Teileinigungen würden wieder infrage gestellt.
Für eine Einigung drängt die Zeit, denn damit der Aufbaufonds im nächsten Jahr mit der Schuldenaufnahme starten könne, müsse zuvor der sogenannte EU-Eigenmittelbeschluss ratifiziert werden. Außerdem müsste im Fall einer Einigung des Gipfels so rasch wie möglich ein Beschluss des Mehrjahresbudgets und des Aufbaufonds an das Europäische Parlament ergehen, damit dieses formal das Zustimmungsverfahren starten kann.
Laut Experten könnte das EU-Parlament im September zustimmen, wenn sich die Staaten im Juli einigen. Die Zeit für die Ratifizierung des Eigenmittelbeschlusses, der für die Haftungen der EU-Mitgliedstaaten für das schuldenfinanzierte Aufbauprogramm notwendig ist, wäre mit gut drei Monaten viel kürzer als bei sonstigen derartigen Zustimmungsverfahren der Parlamente.
17.15 Uhr: Die Fortsetzung des EU-Gipfels ist abermals verschoben worden. Nun sollten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitglieder um 18.00 Uhr (MESZ) wieder zusammenkommen, teilt ein EU-Sprecher mit. Ursprünglich sollte der Gipfel um 14.00 Uhr fortgesetzt werden, in der Früh wurde dies auf 16.00 Uhr und später auf 17.00 Uhr verschoben.
17.00 Uhr: David Sassoli richtet im Vorfeld an die Teilnehmer des EU-Gipfels einen Appell: Der Präsident des Europäischen Parlaments warnt vor einer zu starken Reduzierung der geplanten Corona-Hilfen und des langfristigen EU-Haushalts. Und er droht den Staats- und Regierungschefs mit einem Veto der gewählten Vertreter der Europäer.
"Nach tagelangen Diskussionen erwarten die europäischen Bürgerinnen und Bürger eine Einigung, die diesem historischen Moment gerecht wird", sagt David Sassoli mit Blick auf die Corona-Pandemie. Wenn die Bedingungen des Parlaments nicht ausreichend erfüllt würden, werde es seine Zustimmung nicht erteilen.
16.00 Uhr: Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hält indes einen Kompromiss für möglich. Es seien deutliche Fortschritte gemacht worden, sagte Rutte am Montagnachmittag in Brüssel. "Es sieht hoffnungsvoller aus, als heute Nacht, als ich dachte: Es ist vorbei." Nach den Worten des Niederländers gibt es in zahlreichen Streitpunkten Kompromissvorschläge.
"Ich bin sehr zufrieden über die Texte, die nun vorliegen." Dennoch warnte der Rechtsliberale vor zu großem Optimismus: "Es kann auch immer noch schief gehen."
15.30 Uhr: Der EU-Gipfel in Brüssel zum 1,8 Billionen schweren Finanzpaket verzögert sich auch am vierten Tag. Das Plenum werde um 17.00 Uhr starten, teilte Barend Leyts, Sprecher von EU-Ratspräsident Charles Michel am Montag mit. Ursprünglich wäre 16.00 Uhr vorgesehen gewesen.
Michel führe noch technische Briefings und Telefonate mit den Chefs, schrieb der Sprecher.
Analyse zu den vergangenen Verhandlungstagen
Jeder gegen jeden – dieser Eindruck wuchs am dritten Tag des Budget-Sondergipfels, denn in der Sache selbst schien man nicht mehr weiterzukommen, stattdessen führte Ratspräsident Charles Michel immer neue Einzel- und Gruppengespräche. Unter anderem bat er die „sparsamen Vier“ (Österreich, Schweden, Dänemark und Niederlande) an einen Tisch mit den Südländern, die ebenso wie Deutschland und Frankreich eine weitere Verkleinerung des Zuschüsse-Topfes ablehnen.
Hier prallten die Argumente ebenso aufeinander wie zwischen dem niederländischen Premier Mark Rutte und seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán. Rutte will strikte, in der Praxis nur schwer erfüllbare Kontrollen für die Geldvergabe und eine nationale Vetomöglichkeit, Orbán im Grunde das Gegenteil, also Geldzuweisungen gänzlich ohne Bedingungen. Während also Michel seine Gespräche abhielt, stellte sich Orbán demonstrativ vor das „Haus der europäischen Geschichte“ und zog über Rutte her: „Wenn der Deal blockiert wird, dann ist das nicht wegen mir, sondern wegen des niederländischen Typen.“
Die Gruppe um Sebastian Kurz, die bereits eine Anhebung der Rabatte und eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Zuschüssen und Krediten erzielt hatte, ging noch weiter. Gegen Abend lautete die Forderung: statt 750 Milliarden Gesamtvolumen nur noch 700, dafür je zur Hälfte Kredite und Zuschüsse - also jeweils 350 Milliarden. Ratspräsidentin Angela Merkel und Emmanuel Macron hatten davor aber bereits ausgeschlossen, dass es weniger als 400 Milliarden an Zuschüssen geben würde. Damit schien es, als seien zum offiziellen Beginn des dritten Gipfeltages – erst mit dem Abendessen um 19 Uhr – die Chancen auf eine Einigung wieder gesunken.
Mehrere Punkte sind es, die zu diesem Zeitpunkt unüberwindliche Hürden darstellen: Neben dem Faktor Rechtsstaatlichkeit und dem Thema Zuschüsse/Kredite waren das immer noch die Vergabekriterien bzw. die Kontrollmechanismen. Darüber hinaus ging es auch noch um den langfristigen Finanzrahmen. Sebastian Kurz meinte am Nachmittag, dass die in den jüngsten Entwürfen vorgesehenen Kürzungen bei Forschung und Entwicklung keinen Rückschritt gegenüber den vergangenen Ausgaben darstellten, sondern nur gegenüber früheren Verhandlungsentwürfen. Allerdings stehen dahinter komplizierte Rechenmodelle, die verschiedene Sichtweisen ermöglichen.
Der luxemburgische Premier Xavier Bettel sagte, er habe „selten so diametral entgegengesetzte Positionen“ gesehen. Bis spät in die Nacht gingen die Verhandlungen weiter.
Bruchlinien und Allianzen in Europa
Das Duo „Mercron“
Großbritannien ist weg, Italien angeschlagen – in Zeiten der Krise hat die alte Achse zwischen Deutschland und Frankreich wieder an Bedeutung gewonnen, und damit eine Grundidee der Europäischen Union. Sie wurde nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Friedensprojekt gegründet: Wer in einer Union zusammenarbeitet, braucht keine Kriege mehr zu führen. Nach Chirac, Sarkozy und Hollande hat die Kanzlerin Angela Merkel jetzt Emmanuel Macron als Partner. Nach längerem Fremdeln will das Duo nun seiner Rolle als Motor Europas nachkommen. Von ihm stammt die Idee des Wiederaufbauplans, beide Länder stellen die solidarische Hilfe (Zuschüsse) vor Kredite. Merkel ist derzeit auch Ratsvorsitzende.
Der Club Mediterranée
Sie sind in einer Lage, um die sie niemand beneiden wird: Griechenland, Italien, Malta, Kroatien, Spanien – wirtschaftlich in Bedrängnis, zum Teil schwer von den Coronafolgen betroffen und seit Jahren in der Migrationskrise benachteiligt und alleingelassen. Im Mittelpunkt steht Italien, das schon vor der Pandemie mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte. Den Italienern wurde zwar der Wille zu Reformen attestiert, nun aber sehen sie sich vor allem von den „sparsamen Vier“ schlecht behandelt und unbotmäßig wegen der Hilfsgelder unter Druck gesetzt. Zuvor schon hatte es wegen der Corona-Reisebestimmungen zwischen den Tourismusländern und dem Rest Europas Missstimmung gegeben.
Das frugale Quartett
Obwohl im Prinzip Ausgewogenheit herrschen sollte und jede Stimme gleich viel zählt, hatten kleinere Länder in der EU (noch dazu jene, die erfolgreich und Nettozahler sind) oft das Gefühl, von den großen ignoriert zu werden. Schon vor dem Milliardenpoker um Finanzrahmen und Corona-Fonds verbündeten sich Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande zu den „frugal four“, den „sparsamen Vier“ – als Gegengewicht. Anfangs sympathisierte auch Deutschland mit ihnen, inzwischen sitzt Finnland zumindest als Gast am Tisch. Tatsächlich ist es dem Quartett gelungen, neue Vorschläge auf den Tisch zu bringen und die Balance der Maßnahmen zu verbessern. Kritiker, allen voran das stark von Corona betroffene Italien, sagen, dass die vier dem nationalen Egoismus frönen und dem europäischen Solidaritätsgedanken zuwiderhandeln. Das Kleeblatt bestreitet das. Der niederländische Premier Mark Rutte fährt.
Der neue „Ostblock“
So wie die „Frugalen“ haben sich schon vor längerer Zeit Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn als „Visegrád-Staaten“ (V4) zu einem durchaus effizienten Bündnis zusammengefunden, um in der EU gemeinsam mit mehr Gewicht aufzutreten. Bei der Kür von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin zeigte sich zum ersten Mal, wie groß der Einfluss der Osteuropäer mittlerweile in Brüssel ist, spielten sie doch die Königsmacher für die Deutsche. In der Migrationspolitik ist die Verteilung von Flüchtlingen nach festen Quoten letztlich an den V4 gescheitert. Auch in den EU-Verfahren nach Artikel 7 wegen Verletzung der Rechtsstaatlichkeit gegen Polen und Ungarn nutzen beide Länder das umstrittene Einstimmigkeitsprinzip, um sich gegenseitig die Mauer zu machen. Entsprechend heftig fallen auf dem Sondergipfel die Wortgefechte zwischen Orbán und Rutte (der auf Rechtsstaatlichkeit und Kontrolle als Bedingung für Zahlungen pocht) aus.