Beim EU-Sondergipfel zum billionenschweren Finanzpaket ist am Samstagabend vorerst kein Ende der von Ratspräsident Charles Michel geführten Konsultationen mit einzelnen Staats- und Regierungschefs absehbar gewesen. Wie sein Sprecher Barend Leyts kurz nach 18.00 Uhr mitteilte, hat ein Treffen Michels mit dem tschechischem Premier Andrej Babiš "gerade begonnen".
"Es wird noch weitere Gespräche geben, also bleiben Sie dran", fügte der Sprecher im Stil eines Fernsehmoderators hinzu. Michel hatte die Beratungen der Staats- und Regierungschefs am Samstag bereits am frühen Samstagnachmittag für Gespräche in kleinerer Runde unterbrochen.
Auf dem EU-Gipfel wird über das 1,8 Billionen schwere Finanzpaket im Kampf gegen die Corona-Wirtschaftskrise beraten. EU-Ratspräsident Charles Michel legte einen neuen Kompromissvorschlag vor, mit dem er der Nettozahler-Gruppe der "Sparsamen Vier", der auch Österreich angehört, weiter entgegenkommt. Die Niederlande haben positiv auf den neuen Verhandlungsvorschlag reagiert. Dieser sei ein ernsthafter Schritt in die richtige Richtung, erklärte ein niederländischer Diplomat am Samstag, dem zweiten Gipfeltag. Allerdings handle es sich um ein Paket, und darin seien noch viele Fragen zu klären.
Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sieht indes noch keinen Durchbruch in der zentralen Gipfelforderung des niederländischen Premiers Mark Rutte, eine Vetomöglichkeit bei Zahlungen aus dem Corona-Aufbaufonds zu schaffen. Es gebe aber auch hier "Bewegung in die richtige Richtung", so Kurz, der Ruttes Forderung als "sehr ambitioniert" bezeichnete.
Er finde es grundsätzlich richtig, dass ein Kontrollmechanismus geschaffen werde, da es um Gelder der europäischen Steuerzahler gehe, sagte Kurz. Er sei allerdings im Vergleich zu Rutte "flexibler, was die Systematik betrifft".
Grundsätzlich zog der Kanzler eine positive Zwischenbilanz des bisherigen zweiten Gipfeltages. "Es läuft ganz gut, die Dinge bewegen sich in die richtige Richtung". Dass EU-Ratspräsident Charles Michel in seinem jüngsten Kompromissentwurf Österreich beim siebenjährigen Finanzrahmen einen höheren Budgetrabatt zugesteht - 287 Millionen Euro jährlich gegenüber dem früheren Entwurf von 237 Millionen Euro - begrüßte Kurz zwar, aber er forderte noch mehr: "Es reicht uns noch nicht ganz, wir wollen da noch etwas mehr."
Ratspräsident Charles Michel wird daher nach Diplomatenangaben einen weiteren Kompromissvorschlag unterbreiten. Dieser werde in den kommenden Stunden erwartet und soll ein weiteres Entgegenkommen an die Nettozahler-Gruppe der "Sparsamen Vier" (Österreich, Niederlande, Schweden, Dänemark) enthalten, hieß es Samstagabend in Ratskreisen.
Chance auf Einigung am Abend? "Sehr gering"
"Die Chance auf eine Einigung am heutigen Abend ist sehr gering. Sehr gering", sagte ein Diplomat eines EU-Mitgliedsstaates der Nachrichtenagentur Reuters am späten Nachmittag in Brüssel.
Er verwies diesbezüglich auf die Forderungen der wohlhabenden nördlichen EU-Staaten, die auf weitere Einschnitte beim EU-Aufbaufonds und höhere Rabatte auf ihre Nettobeiträge drängen.
Pessimistische Signale kamen indes auch aus Italien. Wie aus italienischen Diplomatenkreisen verlautete, beharre der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte weiterhin auf einem nationalen Vetorecht gegen Auszahlungen aus dem EU-Konjunkturfonds. Diese Forderung sei "inakzeptabel", hieß es von den italienischen Diplomaten.
Der italienische Ex-Premier Enrico Letta brachte indes ein "Opt Out" für die Niederlande ins Spiel, um die Blockade zu lösen. Letta sagte in einem Interview für die "Huffington Post", dass die Niederlande nicht Europa aufhalten könnten. Zudem würde damit neben einem wirtschaftlichen auch ein demokratiepolitisches Problem entstehen. "Wenn sich die niederländische Idee durchsetzt, wird sich auch Orban dasselbe Vetorecht wie Rutte nehmen wollen, und morgen vielleicht Salvini: Das wäre dann nicht mehr Europa", warnte Letta.
Milliardenpoker mit Maske
Der Verhandlungsvorschlag von Ratspräsident Michel, den er mittags vorgelegt hatte, sieht dem Vernehmen nach höhere Budgetrabatte vor. Die Obergrenze für den siebenjährigen EU-Finanzrahmen von 2021 bis 2027 bleibt mit 1,074 Milliarden Euro hingegen unverändert. Für Österreich erhöht der neue Kompromissvorschlag den jährlichen Budgetrabatt auf 287 Millionen Euro gegenüber dem früheren Entwurf von 237 Millionen Euro. Für Deutschland bleibt der jährliche Rabatt unverändert bei 3,671 Milliarden Euro, auch die Niederlande würden weiterhin 1,576 Milliarden Euro erhalten. Erhöhte Rabatte gibt es für Schweden (823 Millionen Euro statt 798 Millionen Euro) und Dänemark (222 Millionen statt 197 Millionen Euro).
Außerdem sieht der Vorschlag Michels weiterhin einen Aufbaufonds mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro vor. Das Verhältnis der Zuschüsse zu Krediten soll aber nicht mehr zwei Drittel zu einem Drittel betragen, sondern 60 zu 40 Prozent, heißt es in dem Entwurf. Der Anteil der nicht-rückzahlbaren Zuschüsse wurde von 500 Milliarden Euro auf 450 Milliarden Euro reduziert. Anstatt 250 Milliarden Euro sollen nunmehr 300 Milliarden Euro aus dem "Next Generation EU" genannten Aufbaufonds als Kredite vergeben werden.
Für Österreich sei dies noch nicht gut genug, hieß es in Ratskreisen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) soll im Namen der Nettozahler-Allianz der "Sparsamen Vier" (Österreich, Schweden, Dänemark, Niederlande) sprechen, hieß es aus diplomatischen Kreisen.