­Ein Mittwoch wie jeder andere? Das kommt auf die Perspektive an. Für viele durchaus, für andere, die nah am EU-Geschehen dran sind, ist der 27. Mai einer jener Tage, die „von historischer Bedeutung“ sind. An diesem Tag hat nämlich die EU-Kommission ihren Vorschlag für das EU-Budget der nächsten sieben Jahre und die Pläne für ein „Wiederaufbauinstrument“ präsentiert. Wieder aufgebaut werden natürlich keine eingestürzten Bauwerke, sondern die Wirtschaft. Nicht irgendeine, sondern die stärkste Wirtschaftskraft der Welt.

Wir erinnern uns, so lang ist es ja auch nicht her: rund um diesen „Wiederaufbau“ gingen (und gehen) die Wogen hoch, man durfte mit Begriffen wie „Coronabonds“, „Recovery Funds“ oder „Vergemeinschaftung der Schulden“ um sich werfen und mit Beträgen von Milliarden bis Billionen, dass einem ganz schwindlig werden konnte. Dann kamen plötzlich Merkel und Macron mit ihrem Vorschlag und dann wieder die „sparsamen Vier“, Österreich, Dänemark, Niederlande und Schweden mit ihrem Gegenvorschlag. Jetzt schlägt die Kommission halt beides vor: 500 Milliarden für Zuschüsse plus noch einmal 250 Milliarden an Krediten. Und das gekoppelt an den Finanzrahmen mit 1,1 Billionen Euro für sieben Jahre. Plus 540 Milliarden Soforthilfe. Die Debatte ist noch lange nicht aus.

Das heißt, sie sollte bald aus sein, denn die Zeit drängt ziemlich. Am 18. und 19. Juni und vielleicht auch noch am 20. findet der nächste EU-Gipfel statt und dann, allerspätestens aber bei einem Sondergipfel Anfang Juli, sollten die 27 EU-Länder den Sack zumachen. Das würde auch Angela Merkel gut passen, Deutschland übernimmt am 1. Juli die Ratspräsidentschaft von den glücklosen Kroaten und da macht sich ein soeben gelöstes Mega-Problem ganz gut.

Aber davor noch ein Wort zu den Details, mit einem kleinen Ranking. Der Gegenvorschlag der „sparsamen Vier“ trug den Vermerk „non paper“ und bestand (dennoch) aus zwei Seiten Text. Das war ein Drittel des Merkel-Makron-Papiers - die beiden Mächtigen hatten immerhin sechs Seiten für ihre Ideen gebraucht. Erinnert sich noch jemand an den berühmten „Brexit-Ausstiegsvertrag“ aus dem Herbst 2018? Dieses Papier, das quasi nur den losen Rahmen für die jetzt laufenden Verhandlungen über die künftige Zusammenarbeit bot, hatte schon satte 585 Seiten.

Und der heute vorgestellte Budgetplan, über den nun in entscheidender Phase verhandelt wird? Der kommt auf rund 2000 Seiten. Handelsverträge wie Ceta, TTIP oder Mercosur können noch weitaus ausführlicher ausfallen.

Manche ahnen jetzt vielleicht schon, worauf das hier hinausläuft.  All die politischen Vorhaben, über die in ganz Europa gestritten wird, zu denen es auf Twitter und Co. heftige Gefechte und auch in den Medien unzählige Kommentare gibt – all diese Dinge sind schon ein bisschen komplexer, als sich in 280 Zeichen oder ein paar schnell geschriebenen Sätzen darstellen lässt. Freilich geht es um die großen Fragen (Kredite oder Zuschüsse? Alle für jeden oder jeder nur für sich? Woher kommt das Geld und wo geht es hin?), aber Finanzinstrumente in dieser Dimension sind ein Fall für Experten. Das Problem besteht darin, dass sowohl Politiker als auch wir Journalisten die wirklich wichtigen Dinge a) erst einmal verstehen müssen und b) unsere Schlussfolgerungen dann so formulieren sollten, dass auch Menschen ohne BWL-Doktorat dem folgen und sich eine Meinung bilden können. Das ist, vor allem in Hinblick auf Punkt a), nicht leicht.

Umgekehrt ist das natürlich auch zur Verschleierung von Sachverhalten einsetzbar. Wer lange genug Berechnungen immer komplexer und undurchschaubarer macht, hängt irgendwann einmal die kritischen Beobachter ab – und kann so ungestört seine wahren Ziele verfolgen.

Die Moral von der Geschichte: es ist ziemlich gut, dass sich die Mitgliedsländer und die Kommission als Behörde so gigantische Dinge wie nun dieses Wiederaufbau-Instrument nicht einfach so untereinander ausschnapsen können, sondern es in all seinen Details auch vom EU-Parlament bestätigt werden muss. Das sind die 705 Abgeordneten aus allen Mitgliedsländern, die der Bürger frei wählen kann und die das gesamte Parteienspektrum Europas, von ganz links bis ganz rechts, repräsentieren. Das sind die, deren Legitimation oft in Zweifel gezogen wird (letzte Woche sagte sogar einer von ihnen selbst – ein Abgeordneter der FPÖ, wir wollen das nicht verheimlichen – er sei „froh, dass der Rat das Sagen hat und nicht die Kommission und nicht das Parlament“. Womit er natürlich nicht recht hat, zum Glück). Das sind die, vor denen Ursula von der Leyen das Aufbauprogramm heute zu allererst vorstellte.

Was bleibt uns also? Das Vertrauen darauf, dass Hundertschaften von Finanzexperten in den EU-Institutionen und in den Mitgliedsländern die 2000 Seiten im Griff haben und den Staats- und Regierungschefs helfen können, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nationale Verbissenheit und politische Winkelzüge lassen sich damit allerdings nicht verhindern, die kümmern sich nicht um Details.
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