Der rumänische EU-Abgeordnete Dacian Ciolos, Präsident der Liberalen (Renew) im Europaparlament, begab sich letzte Woche auf eine abenteuerliche Reise: allen Grenzsperren und Einreiserestriktionen zum Trotz mit dem Auto von Bukarest nach Brüssel. 20 Stunden nach Abfahrt war er am Ziel – und um einige Erfahrungen reicher.
Ciolos hielt in einem Video fest, wie er in einem Stau in Nadlac an der Grenze zu Ungarn steckte; dort gibt es bis 22 Uhr einen „grünen Korridor“. Diese Möglichkeit, für Binnentransporte und Arbeitskräfte von der EU initiiert, habe funktioniert. Er beschrieb, wie gespenstisch die Fahrt zuweilen auf Autobahnen war, auf denen ausschließlich Lkw unterwegs sind. „In einer Nacht haben wir drei Grenzen und ebensoviele Checkpoints passiert.“ An der österreichisch-ungarischen Grenze eine Kontrolle der Papiere und den Grund der Reise, ein Formular ausfüllen, in dem man sich zu zwei Wochen Quarantäne verpflichtet, falls man in Österreich bleibt – mit Angabe einer allfälligen Adresse. Die Hotels waren geschlossen, der Abgeordnete schlief im Wagen.
Andere Reisende berichten, dass in Luxemburg streng, an der belgisch-deutschen Grenze gar nicht kontrolliert wird - zwischen Deutschland und den Niederlanden bzw. Belgien gab es auch nie Sperren - oder dass bei der Einreise von Deutschland nach Österreich Personaldaten (das wäre für die Quarantänekontrolle nötig) nicht aufgenommen werden. Allerdings kann man sich nicht darauf verlassen, es wird grundsätzlich durchaus kontrolliert. Bekannt werden auch immer wieder Fälle, wonach etwa Bahnreisende zwischen Deutschland und Österreich gar nicht kontrolliert wurden. Am Flughafen Wien gibt es seit Kurzem die Möglichkeit, sich um 190 Euro vor Ort testen zu lassen und mit einem entsprechenden Zertifikat den Quarantänebestimmungen in Österreich oder dem Ausland zu entgehen.
Europa scheint paralysiert zu sein und gelähmt durch das Virus. Während nun langsam in den Ländern die Maßnahmen zurückgenommen werden, stellt sich die Frage, wie man die Grenzsperren lockern kann, ohne verheerende Folgewirkungen befürchten zu müssen. Heute will die EU-Kommission Pläne für eine schrittweise Aufhebung der Sperren vorlegen – bloß in Form von Leitlinien, da die Kompetenz in Händen der Mitgliedsländer liegt.
Kleiner Grenzverkehr
Zunächst einmal soll es darum gehen, Arbeitskräften und durch Grenzen getrennten Familien das Leben wieder zu erleichtern. Im Paket sind aber auch Pläne für eine schrittweise Entspannung für den Reise- und Tourismusbereich. Man geht davon aus, dass die Basis für alle Maßnahmen eine wissenschaftliche Bewertung sein wird. Ähnlich wie in Frankreich, wo, wie berichtet, das Land sich selbst in mehrere Zonen mit stärkerer oder schwächerer Corona-Belastung geteilt hat, könnte es in naher Zukunft auch Entspannungen zwischen Ländern bzw. Regionen geben, die ähnliche Entwicklungen haben.
Das Problem dabei: Um Vergleiche anstellen zu können, muss man eine gleich basierte Datenerhebung haben. Das ist zumindest derzeit innerhalb Europas nicht der Fall. Eine weitere Herausforderung ist es, Diskriminierungen auszuschließen. Würden also Österreich und Deutschland die Grenzsperren aufheben – ist dann beim Übertritt tatsächlich der Wohnort relevant oder etwa die Nationalität laut Pass? Und wie könnte man in der Praxis Reisende, die aus „gefährlichen“ Regionen des Nachbarlandes kommen, von anderen unterscheiden?
Der Kommission ist wichtig, dass eine Entspannung nur Schritt für Schritt und mit entsprechenden Begleitmaßnahmen geschehen soll. Wie diese im Detail aussehen, ist noch offen. Eine App, wie sie in den Ländern diskutiert wird, könnte zum Einsatz kommen, wenn sie in ganz Europa dem Datenschutz entspricht und auch überall funktioniert. Wichtig sind auch genügend Test- und Krankenhauskapazitäten.
Kleine Übergänge machen auf
Während man in Brüssel vorerst den Einreisestopp in die EU bis 15. Juni verlängert hat, ist in Deutschland der Druck gestiegen. Ute Vogt, Sprecherin der SPD-Fraktion, forderte Innenminister Horst Seehofer (CSU) auf, den kleinen Grenzverkehr wieder zu ermöglichen. Zwischen Österreich und Deutschland tritt Entspannung ein, mehrere kleine Übergänge zwischen Bayern und Oberösterreich machen tagsüber auf. Am Montagabend sprachen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Emmanuel Macron über mögliche Lockerungen im deutsch-französischen Grenzverkehr. Merkel machte gestern auch in der Unionsfraktion Hoffnung auf eine schrittweise Öffnung.