Drei Tage vor dem EU-Gipfel zeichnet sich ein Kompromiss ab, wie von der Corona-Krise besonders stark betroffene EU-Staaten ohne umstrittene Eurobonds stärker unterstützt werden könnten. Sie könne sich eine deutliche Anhebung des EU-Haushalts vorstellen sowie Anleihen, die durch Garantien der Mitgliedstaaten abgesichert würden, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte am Montag.
Damit könnte nach Angaben von Experten ein Mittelweg zwischen den Forderungen der Euro-Südländer und etwa den Österreich oder auch den Niederlanden gefunden werden, die Eurobonds kategorisch ausschließen. Merkels Äußerungen deutet zudem auf eine deutliche Abkehr von der deutschen Position in den EU-Haushaltsverhandlungen für die Zeit bis 2027 hin. Bisher hatte Deutschland wie einige andere Nettozahler darauf gedrungen, die Zahlungen an Brüssel nicht weit über ein Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung steigen zu lassen. Jetzt sagte Merkel angesichts der Corona-Krise: "Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass (der EU-Etat) in den ersten Jahren nach der Pandemie ganz andere finanzielle Möglichkeiten haben muss."
Hilfe zugesichert
Zudem sicherte Merkel Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich Hilfe zu. "Deutschland möchte nicht nur solidarisch sein, sondern wird auch solidarisch sein", betonte die Kanzlerin. Dies gelte über das Hilfspaket mit 500 Milliarden Euro hinaus, das die EU-Finanzminister bereits vereinbart hatten. "Aber das muss im Rahmen der heutigen Verträge sein", sagte Merkel zur Debatte über Eurobonds. Sie hatte solche gemeinsame Staatsanleihen mit gemeinschaftlicher Haftung bereits am Morgen im CDU-Präsidium erneut abgelehnt.
Entscheidender Hebel für Finanzhilfen an Italien oder Spanien könnte laut Merkel nun der Artikel 122, Absatz 2 im EU-Vertrag sein. Diese erlaube wie bei dem vereinbarten Kurzarbeitergeld auf EU-Ebene, dass durch Garantien der Mitgliedstaaten Anleihen für Länder weitergegeben werden. "Solche Instrumente kann ich mir auch weiter vorstellen", sagte Merkel mit Blick auf die EU-Verhandlungen am Donnerstag. Der Vorteil für Italien wäre etwa, dass es über solche EU-Anleihen an billigeres Geld käme als wenn es selbst nationale Kredite aufnehmen würde.
Telefonat am Montagabend
Nach Angaben eines EU-Diplomaten telefonierten Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefs Giuseppe Conte, seine spanischen und niederländischen Kollegen Pedro Sanchez und Mark Rutte, EU-Ratspräsident Charles Michel sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montagabend miteinander, um die Verhandlungen am Donnerstag vorzubereiten. Details wurden zunächst nicht bekannt.
Spanien hatte zuvor angekündigt, den festgefahrenen Streit über Eurobonds beenden zu wollen. Ministerpräsident Sanchez denke nun an ein 1,5 Billion Euro schweres Paket, bei dem die EU-Kommission über den EU-Haushalt abgesicherte Anleihen aufnehmen könnte, verlautete aus dem Außenministerium in Madrid. Dies kommt den Ideen Merkels nahe. Hintergrund der Debatte ist, dass Euro-Südländer wie Italien, Spanien und Frankreich die von den EU-Finanzministern bereits vereinbarten zusätzlichen Kredite über den Euro-Rettungsmechanismus ESM und die Europäische Investitionsbank (EIB) sowie das abgesprochene europäische Kurzarbeitergeld für nicht ausreichend halten.
Kompromiss gefragt
Am Freitag hatte sich bereits das Europäische Parlament (EP) für zusätzliche Hilfen über den EU-Haushalt und darüber abgesicherte Anleihen ausgesprochen. "Das ist der Kompromiss zwischen Italien und den Niederlanden", hatte der Vorsitzende der deutschen EVP-Gruppe im EP, Daniel Caspary, zu Reuters gesagt. Weder müsse Italien mit einem solchen Instrument eine Troika mit Auflagen bei der Verwendung von Mitteln akzeptieren, wie dies die Niederlande etwa bei ESM-Krediten verlangt hatten. Die Hilfen seien aber nicht unkonditioniert wie von Italien gefordert.
Auch Merkel betonte, dass die Corona-Krise die Länder "ohne Verschulden" getroffen habe. "Das ist nicht Ergebnis von irgendwelchen Mängeln in der Wirtschaftspolitik oder anderen Dingen", sagte sie angesichts der Debatte etwa in den Niederlanden, Italien im Gegenzug für Kredite Reformauflagen zu machen. Sie deutete an, dass Deutschland sogar bereit sei, über neue EU-Verträge zu diskutieren, fügte aber hinzu: "Aber dann braucht man zwei, drei Jahre. Und wir werden schnelle Antworten auf die Pandemie brauchen."