Die Menschheit hat gerade Wichtigeres zu tun, als sich über die Zeitumstellung aufzuregen. Heute Nacht werden in ganz Europa die Uhren wieder eine Stunde nach vor gestellt und man könnte sarkastisch sagen: Eine Stunde weniger in der häuslichen Isolation, theoretisch zumindest.
Was ist aus dem Aufreger-Thema der letzten Jahre geworden? Zur Erinnerung: Jedes Jahr war das Murren aus dem Volk lauter gewesen, die zweimal pro Jahr vorgesehene Zeitumstellung sei sinnlos und würde längst nicht mehr den ursprünglichen Zweck – Energie zu sparen und das Tageslicht besser nutzen zu können – erfüllen. Außerhalb der EU nahmen Staaten wie Island, China, Russland oder die Türkei Abstand von ähnlichen Regelungen, der Druck in Europa zur Abschaffung wuchs. Die EU-Kommission versuchte, die Meinung des Volkes abzufragen. Heraus kam Seltsames: 4,6 Millionen Menschen beteiligten sich, allerdings allein drei Millionen waren Deutsche – und 84 Prozent sprachen sich für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus. Die Beteiligung war die höchste jemals registrierte, repräsentativ war sie (bei mehr als 500 Millionen EU-Bürgern) nicht.
Dennoch wurde die EU-Kommission aktiv und verfasste eine Richtlinie zur Abschaffung der Zeitumstellung. Gegenüber der Kleinen Zeitung bestätigte ein hochrangiger EU-Diplomat erst kürzlich, was manche schon früh ahnten: Der damals amtierende Kommissionschef Jean-Claude Juncker nutzte das verhältnismäßig harmlose Thema, um ein Exempel für die Mechanismen des Populismus zu statuieren. Viele (bei Weitem nicht die Mehrheit) rufen nach mehr Subsidiarität und weniger EU, eine vermeintlich breit angelegte Umfrage zeigt, was „das Volk“ angeblich will, dazu noch einige wissenschaftliche Studien, und schon nehmen die Dinge ihren Lauf. Das EU-Parlament machte mit, der Vorschlag der Kommission wurde mit großer Mehrheit angenommen.
Es liegt an den Mitgliedsländern
Jetzt, und das ist der Stand der Dinge, können die Mitgliedsländer selbst entscheiden – und drohen zu scheitern. Sie müssen sich eigentlich nur bis 2021 darauf einigen, ob permanente Sommer- oder Normalzeit (Winterzeit) bleiben soll, und genau das scheint unmöglich. Was weit im Osten gut sein mag, wird weit im Westen abgelehnt, dazu kommen Entscheidungsprozesse, die nicht immer der Logik folgen – allein schon, weil viele auf „Sommerzeit“ plädieren, bloß weil sie damit laue Sommerabende in gut gefüllten Gastgärten verbinden.
Nun haben die Staaten die Kommission ersucht, eine wissenschaftliche Analyse zur Folgenabschätzung zu erstellen. Kurz vor Jahreswechsel sagte Juncker, schon als Politpensionist, er „komme aus dem Staunen nicht heraus“: Offensichtlich bedürfe es erst wieder der EU-Kommission, da die Länder selbst nicht einmal so eine einfache Frage regeln können. Was zu beweisen war.