Großbritannien hat wegen der Corona-Pandemie die geplante zweite Verhandlungsrunde über die künftigen Beziehungen mit der Europäischen Union endgültig verschoben. Man bleibe aber in regelmäßigem Kontakt und prüfe Video- und Telefonkonferenzen als Alternative, teilte eine Regierungssprecherin in London mit. Die nächste Verhandlungsrunde hätte heute Mittwoch beginnen sollen - ein Unterfangen, das schon im Vorfeld schwer vorstellbar war, sitzen sich doch bis zu elf Verhandlungsteams mit mehr als 200 Personen gegenüber.
"Wir erwarten, dass wir wie geplant in naher Zukunft noch einen Entwurf für ein Freihandelsabkommen zusammen mit den Entwürfen für die Rechtstexte einer Reihe von eigenständigen Abkommen vorlegen werden", so die Sprecherin. Bei der ersten Verhandlungsrunde in Brüssel hatten die Unterhändler wenig Fortschritt erzielt. Doch die Zeit drängt, die Übergangsperiode endet am 31. Dezember. Eine Verlängerung der Frist lehnt Premier Boris Johnson bisher strikt ab.
Kein Thema an der Themse
Nun kommt dazu, dass als Folge des Corona-Chaos das Thema Brexit in der britischen Öffentlichkeit völlig in den Hintergrund gedrängt ist, was die Politik auch nicht gerade beflügelt. Die "Sunday Times" ließ in einer Umfrage erheben, dass nur noch sechs Prozent der Menschen meinen, dass der Brexit das größte Problem des Landes sei: "Downing Street besteht zwar weiter darauf, dass ein Freihandelsabkommen mit der EU bis zum Ende des Jahres ausgehandelt werden kann. Doch wenn das im Ergebnis dieser Krise länger dauert, dann ist es eben so: Brexit-Ultras werden sich damit wohl oder übel abfinden müssen. Eine Öffentlichkeit, die bereit ist, drakonische Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu akzeptieren, hat schlicht und einfach andere Sorgen", heißt es in der Zeitung.
Ohne Einigung drohen vor allem der Wirtschaft schwere Konsequenzen. Großbritannien war am 31. Jänner aus der Staatengemeinschaft ausgeschieden, unterliegt aber noch bis Jahresende EU-Regeln. Bis Juni hätte Boris Johnson Zeit, die EU um eine zweijährige Verlängerung der Verhandlungszeit zu bitten, was er aber neuerlich - trotz der Coronakrise - abgelehnt hat.
Neuer Vorschlag der EU
EU-Unterhändler Michel Barnier legte inzwischen einen eigenen Entwurf für ein Partnerschaftsabkommen vor. Es handelt sich um einen Vorschlag, der alle Felder der künftigen Beziehungen mit Großbritannien abdeckt, auch ein Freihandelsabkommen. Der Entwurf umfasst 440 Seiten - hier im Original nachzulesen.
Großbritannien hat bereits einen Gegenvorschlag angekündigt. Weitere Reaktionen sind nicht bekannt.